Nach dem
Fesselspielchen auf dem Hochsitz fuhren wir erneut zu dem kleinen Waldsee.
Wir waren hier wieder ganz alleine. Wir stellten unsere Fahrräder an einen
Baum, entledigten uns der Klamotten und sprangen in das kühle Naß. Nachdem
wir uns ein bißchen abgekühlt hatten, suchte ich noch einmal das Gespräch
mit Katrin. "Du Katrin, wir müssen aber noch über ein paar Dinge reden",
begann ich. "Wie hast du dir das mit uns eigentlich weiter vorgestellt?
Hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht? In der nächsten Woche
beginnt die Schule wieder, und da können wir nicht mehr so viel Freizeit
miteinander verbringen, wie jetzt in den Ferien. Das würde dann auffallen,
wenn wir plötzlich keine Zeit mehr für unsere Freunde hätten. Aber wir
können auch nicht öffentlich so miteinander turteln wie es andere Paare
tun."
Damit werden wir leben müssen" entgegnete Katrin. "Aber ich weiß dich ja
praktisch immer in meiner Nähe, wir gehen in die gleiche Klasse, machen
den gleichen Sport und demnächst gehen wir auch noch gemeinsam tanzen. Uns
wird nichts anderes übrigbleiben, als hin und wieder mal die eine oder
andere Gelegenheit zu nutzen, wenn sie sich ergibt." Wie viele
Möglichkeiten das sein würden, und wie prickelnd das noch werden würde,
ahnte ich damals noch nicht.
"Oder willst Du die Beziehung etwa beenden?" fragte Katrin. "Nein",
antwortet ich schnell, "will ich nicht!" Aber ich glaube heute ich konnte
damals überhaupt keine andere Antwort geben, denn ich war viel zu
verliebt.
"Aber bitte, einen Gefallen mußt du mir tun", bat Katrin mich. "Wenn
jemand etwas merkt, dann darf auf keinen Fall einer von uns irgendwas
zugeben. Das gäbe ein Riesen Theater, und ich möchte nicht wissen, was das
für Folgen hätte. Besonders wenn unsere Eltern uns vielleicht mal
irgendwie doch überraschen sollten, dann darfst du nie zugeben, das vorher
schon mal was passiert ist, einverstanden."
Ich kannte Katrins Angst, von unseren Eltern verstoßen zu werden und in
ein Heim gesteckt zu werden, und so stimmte ich zu. "Du bist ein Schatz!"
nahm Katrin mich in den Arm. Für diesen Tag hatten wir genug erlebt, wir
zogen unsere Mutter wieder an, und fuhren nach Hause, denn bald mußte es
Abendbrot geben, und meine Mutter hatte uns ja warmes Essen versprochen.
Zum Abendessen hatte meine Mutter wirklich wieder alle Ihre Kochkünste
ausgekramt und es gab eine phantastisches italienisches Essen. Nicht zu
schwer zu verdauen, das wäre bei diesem Wetter auch nicht das passende
gewesen, aber doch lecker und sättigend. Nachdem wir das Essen verputzt
hatten, sprachen wir noch ein bißchen über dies oder das. Wir genossen die
abendliche Stimmung und setzten uns noch ein bißchen auf die Terrasse,
denn inzwischen war es draußen angenehm kühl. Ein bißchen trauerten wir
den zu Ende gehenden Sommerferien nach, denn in zwei Tagen begann wieder
die Schule, und damit der Ernst des Lebens, wie die Erwachsenen immer zu
sagen pflegten. Aber ein bißchen freute ich mich auch, denn dann ging auch
das Training wieder los. Auch Katrin freute sich auf das Karate Training,
den wir mochten diesen Sport beide sehr, aber in den großen Ferien machte
unser Meister die Schule immer zu und fuhr in seine alte Heimat. Er meinte
auch in seinem Alter lerne man nie aus. Ich erinnerte meine Mutter an ihr
Versprechen das Katana Schwert mitnehmen zu dürfen. Nachdem wir uns noch
eine ganze Weile so unterhalten hatten kam auch Rosa endlich nach Hause.
Sie war den ganzen Tag wegen des Geigenkonzertes unterwegs gewesen. In
solchen Dingen war Rosa eine Besessene, eine absolute Perfektionistin. Sie
erzählte noch ein bißchen von ihren Proben und wie gut sie mit den
einzelnen Stücken voran kamen. Mich interessierte das eigentlich nicht
sonderlich, und ich fühlte mich ein bißchen gelangweilt, so daß ich begann
Katrin ein bißchen zu necken.
Zum Glück war der Tag für Rosa so anstrengend gewesen, daß sie sich bei
Zeiten verabschiedete. Wir quatschten noch ein Weilchen über dies und das,
dann verabschiedeten auch wir uns von meiner Mutter und wollten schlafen
gehen. Als wir die Treppe hochkamen hörten wir Rosa noch im Badezimmer,
und so gingen wir jeder in sein Zimmer ohne das noch viel passiert wäre.
Ein flüchtiger Blick, ein "Gute Nacht" und ein schelmiges, listiges
Grinsen war alles, was wir uns noch schenkten.
Zwei Tage später war es dann soweit. Der Alltag hatte uns wieder. Zum
Glück bestand der erste Schultag nur darin, uns die neuen Klassenräume
zuzuweisen, uns den einen oder anderen Lehrer vorzustellen den Stundenplan
zu überreichen und uns mit schweren Büchern zu beladen. Dann waren wir
fürs erste entlassen. Auf dem Heimweg begleiteten uns ein paar Kumpels aus
der Nachbarschaft, die während der Ferien verreist waren. Wir tauschten
uns ein bißchen aus, wie denn so unsere Ferien verlaufen waren, und Katrin
und ich logen das sich die Balken bogen. Ich war erstaunt, wie gut das
funktionierte, und wie gut sich unsere Geschichten jeweils ergänzten. Am
Nachmittag fuhr uns unsere Mutter dann zum Karate-Training, und ich durfte
wie versprochen das Katana-Schwert mitnehmen. Aber meine Mutter ließ mich
mit dem Ding nicht aus den Augen. In der Schule angekommen zeigte ich
'Meister Kim' das Schwert und fragte ihn, was er davon halte. Meister Kim
nahm das Katana in Augenschein, untersuchte es ganz genau mit kritisch
prüfendem Blick, ging schließlich ein paar Schritte von uns weg, und
vollführte vor unseren Augen ein paar Übungen mit einer solchen
Geschwindigkeit, wie das nur ein Asiate konnte. Ich bemerkte wie meiner
Mutter beeindruckt der Kiefer herunterfiel.
"Wow, was für ein edles Stück" gab er mir das Schwert zurück. "Ist das
denn soviel Wert?" fragte ich skeptisch. "Was meinst Du denn wieviel
soetwas wert ist?", fragte er lächelnd. "500,- DM", antwortete ich
schnell, nur um eine Antwort zu geben. Ich merkte aber sofort, das das die
falsche Antwort war, denn er zog verächtlich die Brauen hoch. "Pah, mein
Junge, ich dachte ich hätte euch etwas beigebracht. Der Wert eines solchen
Gegenstandes ist nicht in DM, Dollar oder Yen zu bewerten. Ein Katana ist
in Asien so viel wie hier ein Familienwappen. Es ist das höchste Gut, was
eine Familie besitzt. Eine Entehrung des Katanas, z.B. durch Diebstahl,
bedeutet die Entehrung der gesamten Familie. Dafür starben in Asien früher
Menschen. Und eines ist auch gewiß, wenn du den Wert wissen willst, den
Dein Vater ausgegeben hat, um ein solches Katana überhaupt von einem
Schmied zu bekommen, dann sind das hierbei" und er deutete auf das
Schwert, das ich immer noch in den Händen hielt, "mindestens 15000,- DM
gewesen! Dies ist eines der besten Schwerter die ich je gesehen habe, kein
billiges Nachmachprodukt aus Taiwan oder den USA, was man in jedem
Hinterhof-Waffenladen kaufen kann, das hier ist echte Kunst! Ich hoffe
mein Junge, du weißt das eines Tages zu schätzen!"
Ich nickte und gab nur ein schüchternes "Jawohl Meister!" zur Antwort und
gab das Schwert meiner Mutter zurück. Die betrachtete es nun auch mit
etwas anderen Augen, wie ich sofort bemerkte, verabschiedete sich aber
dann. "Ich hole euch in zwei Stunden nach dem Training wieder ab."
"Nun dann laßt uns endlich anfangen!" forderte der Meister uns auf. Es
wurde ein hartes Training nach 6 Wochen Pause, und der Meister schimpfte
mal wieder mit uns, das wir so faul wären, und nicht ein einziges mal zu
Hause trainieret hätten während der gesamten Ferienzeit. Dabei grinste er
aber immer mit seiner freundlich asiatischen Art, denn so ernst wie er
viele Dinge sagte, meinte er sie gar nicht. Er kannte halt seine
Pappenheimer! Am Ende des Trainings war es so üblich, das der Meister uns
eine Geschichte erzählte. Das hatte sich so eingebürgert, und alle
Trainingsteilnehmer nahmen an dieser kleinen 'Märchenstunde' eigentlich
immer teil. Das war halt seine Art, uns den asiatischen Lebensstil ein
bißchen näher zu bringen und darüber hinaus konnte der Meister wirklich
gut erzählen. Ich hatte ja auch schon erwähnt, das es sich hier nicht um
eine der üblichen Klopperbuden handelte, sondern das diese Sportschule
weit mehr war. Und so begann der Meister seiner Erzählung.
Es war einmal vor langer Zeit, als es noch Drachen auf dieser Welt gab.
Damals lebte in den japanischen Tiefebenen ein stolzer Samurai, der
berühmt für seine Kampfkunst war, und schon viele Drachen bezwungen hatte.
Dieser Samurai hatte eine Sohn namens Djio. Als Djio das Alter erreicht
hatte, bald ein Mann zu werden, schmiedete ihm sein Vater, der viel von
seiner Kunst verstand ein Schwert, so wie es sich für einen guten Samurai
gehörte. Doch Djio mißachtete das Geschenk seines Vaters, denn er wußte
den Wert des Schwertes nicht zu schätzen. Statt dessen gab sich Djio
lieber dem Genuß und den schönen Künsten hin. Auch die Kampfkunst, die ihm
sein Vater gelehrt hatte vernachlässigte er. Aber Djio war ein sehr
gebildeter junger Mann, der am Hofe des Kaisers ein hohes Ansehen genoß,
da er auf alle Fragen des Lebens immer eine gescheite Antwort wußte. Djio
hatte ein Auge auf die Tochter des Kaisers, die schöne Kai-jin geworfen,
und bat nach einigem Werben, den Kaiser um die Hand seiner schönen
Tochter. Doch der Kaiser war ein listiger Mann, der immer von allen
profitieren wollte, und so stimmte er der Vermählung der beiden zu, wenn
Djio ihm zuvor den bösen Drachen Gijing vom Halse schaffen würde, der
immer wieder über das Land herfiel und und es verwüstete. Djio, der sehr
von sich überzeugt war, willigte ein, denn er begehrte Kai-jin sehr und
glaubte fest daran, den Drachen überlisten zu können. So zog er aus den
Drachen zu suchen, und sich in einem geistigem Wettkampf mit ihm zu
messen. Mit dem nötigsten ausgestattet, und mit dem Schwert seines Vaters
bewaffnet machte er sich auf die Suche. Nach wochenlanger Suche, dem
Aufgeben nahe, fand er den Drachen in einer tiefen Schlucht zwischen den
Bergen. Der Drache versperrte Djio den Weg, und fragte nach seinem Begehr.
Djio forderte den Drachen zu einem Wettkampf. Der Drache lachte Laut, und
fragte Djio wie er denn gegen ihn, den Drachen bestehen wolle, denn er sei
doch nur ein Mensch. Djio antwortete, das er den Drachen mit seinem Geist
überwinden wolle, denn er sei ein sehr kluger Mensch. Der Drache stimmte
lachend zu, denn Drachen rätseln gerne und sind sehr gebildet, und so
forderte der Drache ihn zu einem Wettkampf heraus. Bei einem Sieg des
Drachen wäre Djio verloren, bei Djios Sieg hätte ihm der Drachen auf ewig
gehorchen müssen und bei einem unentschieden bestand der Drache auf eine
Entscheidung im Kampf. Der Drache stellte sein erstes Rätsel und fragte
Djio:
Es fällt und es fließt, es zerstört und es spendet Leben, es hat keine
Farbe und ist dennoch blau, und trotz es keine Farbe hat ist es nicht
unsichtbar.
Was ist das? Djio überlegte eine Weile dann antwortete er: 'Wasser', Nun
war es an ihm dem Drachen eine Frage zu stellen. Dabei wollte er es dem
Drachen nicht so einfach machen, denn er wollte ja gewinnen. Und so fragte
er den Drachen:
Seine Farbe ist Metall und doch rot, es vernichtet den einen und beschützt
den anderen,
Noch bevor Djio zu Ende gesprochen hatte, bäumte sich der Drache vor
Lachen laut auf, und antwortete: Das ist einfach, es ist ein Schwert. Doch
Djio zog sein Schwert rammte es dem Drachen von unten in den Bauch und
sagte, "...und es tötet Drachen!" Der Drache hätte ihm bis zum Ende
zuhören sollen, das erkannte der Drache nun auch als er starb, und Djio
wußte nun endlich den Wert des Schwertes zu schätzen.
"Na", fragte uns der Meister, "was habt ihr aus dieser Geschichte
gelernt?" "Den anderen ausreden lassen" antwortete Katrin, doch der
Meister grinste mich an und meinte zu mir: "Na Georg, was meinst Du?" "Ich
glaube, man sollte die Geschenke seines Vaters achten, besonders dann wenn
man im Leben noch etwas erreichen will", gab ich Kleinlaut zu, den ich
hatte verstanden warum er uns ausgerechnet diese Geschichte erzählt hatte.
Nach dieser Geschichte zogen wir uns um und machten uns auf den Heimweg.
Da meine Mutter heute Abend noch Rosa zur Generalprobe für das Konzert
begleitete, konnte sie uns nicht vom Training abholen, und so machten wir
uns mit dem Bus auf den Heimweg. Auf dem Weg zur Bushaltestelle viel uns
aber auf, das wir beide unsere Geldbörse vergessen hatten, und so
beschlossen wir am Ufer der Lahn entlang zu fuß nach Hause zu gehen und
nicht schwarz zu fahren. Nach einem guten Stück des Weges meinte Katrin zu
mir: "Georg, was meinst du, ob diese Geschichte heute wirklich eine alte
japanische Sage gewesen ist?"
"Ich glaube nicht", erwiderte ich. "Ich glaube die hat Meister Kim sich
ausgedacht, um mir eine Lehre zu erteilen, deshalb auch die Ähnlichkeit
mit den Namen, Djio und Geo (so wurde ich von einigen Kumpels genannt) und
Kai-Jin und Katrin, das war bestimmt kein Zufall."
"Aber ich bin doch nicht die große Liebe, die du begehrst!" stellte Katrin
fest.
Ich sah sie etwas erstaunt an, "Doch bist du! Natürlich bist du das!"
Katrin lachte nun ein bißchen: "So meinte ich das nicht. Das kann ja der
Meister nicht wissen!"
Nun lachte ich auch. "Ja, stimmt. Vielleicht wollte er mich nur nicht in
Verlegenheit bringen, wenn er den Namen eines anderen Mädchen genommen
hätte, hätte es doch gleich wieder Getuschel gegeben". Plötzlich, wir
hatten Limburg schon ein gutes Stück hinter uns gelassen, nahm Katrin
meine Hand und gab mir eine Kuß. "Danke mein Samurai, das du mich noch
immer begehrst!"
"Immer zu Ihren Diensten Prinzessin Kai-jin", antwortete ich. Da blieb
Katrin unvermittelt stehen, griff mir zwischen die Beine und flüsterte in
mein Ohr: "Mama sagt zwar immer, ich soll nicht immer das Messer ablecken,
aber ein Samuraischwert würde ich doch gerne mal probieren." "Dann darf
aber ich auch in der Höhle nach dem Drachen suchen." erwiderte ich mit
schelmischem Grinsen, und schon waren wir im hohen Ufergras verschwunden
um japanische Sagen zu ergründen. Meine Zunge suchte ausgiebig einen
Drachen in Katrins Höhle, die vor lauter Salzwasser regelrecht
überschwappte, und Katrin lernte eher einen spukenden Drachen als ein
Samuraischwert kennen, wie sie später sagte. Obwohl der Härtegrad passen
würde. Seit diesem Abend nenne ich meinen Schatz eigentlich immer nur noch
Kaijin und sie mich Geo, was sie aber wie unser Meister Djio ausspricht.
Wir kamen an diesem Abend ziemlich spät nach Hause, und ernteten ein paar
böse Blicke meiner Mutter. Aber sie konnte uns nicht lange böse sein, denn
sie hatte auch eine Überraschung für uns. Vater würde übermorgen für
einige Wochen überraschend nach Hause kommen.
Aber das ist eine andere Geschichte, die gibt es ein anderes Mal.
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