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Rendez-vous in Dänemark 6     Teil  1    2    3    4    5    6

 
   

"Ich möchte dir erzählen, wie es dazu kam. Bitte hör mir zu." "Ich höre." Der kühle Wind wehte stärker. Die Regentropfen wurden größer und klatschten uns ins Gesicht. Auf den Wellen waren weiße Schaumkronen. Die Gischt der sich am Pier brechenden Wellen spritzte durch die Luft und wurde vom Wind verweht. Ich erzählte Annabelle die gesamte Geschichte mit Kerstin. Von ihrem Angebot im Eiscafé, wie sie mich im Postkartenladen in ihren Ausschnitt schauen ließ, von meinen Gewissensbissen in der Nacht unseres Treffens und wie es schließlich passierte. Annabelle verzog keine Mine. Ich konnte nicht erkennen, ob die Tropfen in ihrem Gesicht vom Regen stammten oder ob sie weinte. Starr sah sie auf das Wasser hinaus, genauso wie ich. Ich hatte nicht die Kraft, ihr in die Augen zu sehen. "Annabelle, du weißt nicht wie das ist, ein Junge zu sein! Du hast sehr oft Lust auf Sex, öfter als Mädchen. Und wenn dir dann noch ein schönes Mädchen wie Kerstin sich dir anbietet, dann hast du dich einfach nicht mehr unter Kontrolle! Das hat nicht viel mit Liebe zu tun. Es ist unsere genetische Veranlagung, es ist wie ein Fluch!" Der Himmel hatte sich dramatisch verdunkelt. Gleich würde es in Strömen zu regnen beginnen.

Ich machte eine kurze Pause. "Annabelle, es tut mir leid, daß ich dich so verletzt habe. Ich wollte das nicht, ich könnte dir doch nie etwas antun." Meine Augen füllten sich mit Tränen und das Sprechen fiel mir auf einmal sehr schwer. "Du bist so ein guter Mensch, du hast es nicht verdient, betrogen zu werden. Ich möchte mit dir zusammen sein, ich brauche deine Nähe! Seit der ersten Minute mag ich dich! An dieser Stelle konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. "Bitte sieh mich an, Annabelle! Sieh mir in die Augen!" Langsam drehte sie sich zu mir herum und sah zu mir herauf. Ich bemerkte, wie blaß ihr Gesicht war. Unter den Augen hatte sie dunkle Ringe, als hätte sie die letzte Nacht kein Auge zugetan. Ihre Augen hatten den unbeschwerten Glanz vom ersten Tag verloren. "Bitte sei wieder glücklich, Annabelle!" flüsterte ich ihr zu. Ich konnte nur noch mit tränenerstickter Stimme sprechen. "Ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen, ich liebe dich doch, ich liebe dich doch!" Annabelle senkte ihren Blick und sah auf den Boden. Dann ging sie langsam durch den strömenden Regen davon. Ich blieb an dem Holzgeländer des Piers stehen. Meine Seele wurde von einem scharfen Schwert durchbohrt. Ich flüsterte zunächst: "Bitte, bleib doch bei mir", dann rief ich: "Annabelle!" Ich rief immer lauter ihren Namen, zum Schluß schrie ich ihn aus voller Kehle in den Regen hinaus. "Annabelle! Laß mich nicht allein! Kerstin bedeutet mir nichts! Ich hasse sie! Annabelle!!!" Doch sie drehte sich nicht einmal um. Da brach ich weinend und wie von Krämpfen geschüttelt zusammen. Auf dem Bauch lag ich auf den Holzplanken des Piers, die Hände vorm Gesicht. Ich hatte das Gefühl, sterben zu müssen, es war seelische Folter. Warum kann Liebe so verletzend sein? Ich weiß nicht, wie lange ich da lag. Der Regen prasselte auf mich nieder, doch es war mir vollkommen egal. Meine Kleidung war triefend naß. Ich wimmerte wie ein sterbendes Tier vor mich hin, immer wieder flüsterte ich mit heiserer Stimme ihren Namen. Es wurde dunkel, aber ich hatte keine Lust mehr, aufzustehen. Da merkte ich, das sich jemand neben mich gehockt hatte. Es war Annabelle. Sie war zurückgekehrt, ich wußte nicht warum. Langsam sah ich zu ihr auf. Auch sie war völlig durchnäßt, sie hatte wohl auch irgendwo allein im Regen gesessen. Zärtlich strich sie mir mit einer Hand durch mein nasses Haar. Dann sagte sie: "Wir gehören zusammen, das weiß ich jetzt." Wir standen auf und umarmten uns stürmisch. Wir weinten beide bitterlich, diesmal aus Liebe zueinander. Lange standen wir so da. Irgendwann gingen wir Hand in Hand zurück zum Zeltplatz, wo alle schon schliefen. Auf dem Weg dorthin liebten wir uns in den Dünen und diesmal geschah es wirklich aus Liebe.

Wir verbrachten noch ein paar wunderschöne Tage miteinander. Kerstin ignorierten wir völlig. Ich lernte Annabelles Eltern kennen, mit denen ich mich auf Anhieb gut verstand. Annabelle brach die Freundschaft zu ihr ab. An unserem letzten gemeinsamen Tag in Dänemark tauschten wir unsere Adressen aus. Aber wir wußten beide, daß jetzt alles vorbei war, jedoch sprach es keiner von uns aus. Wir taten so, als würden wir uns nochmal wiedersehen.