Es waren
wieder einige Monate vergangen. Es war Winter geworden und die Stadt war
mit einer weißen Schneedecke überzogen. Als ich an einem Samstgmorgen
aufwachte, es war ein paar Tage vor Silvester, sah ich aus meinem Fenster.
Der Himmel war strahlend blau und mein digitales Thermometer zeigte eine
unmenschliche Außentemperatur von -6 Grad. Verdammt! Da konnte man ja
Depressionen kriegen. Ich verließ höchst widerwillig mein warmes Bettchen
und zog mir einen Bademantel über. Als ich zum Frühstück erschien, waren
meine Eltern bereits fertig mit dem Essen. »Guten Morgen heißt das, wenn
man hereinkommt! Und zieh nicht so ein Gesicht!« Immer dasselbe Spielchen,
aber ich hatte keine Lust auf Streit, deshalb zog ich mit. »Guten Morgen,
liebe Mutter, guten Morgen, lieber Vater! Ich hoffe, ihr habt gut
geschlafen! Sollte dies nicht der Fall sein, so bedaure ich dies
zutiefst!«, sagte ich mit ironischem Unterton. Meine Eltern sagten mir,
daß sie heute irgendwo hin zum Spazierengehen fahren wollten, das konnte
mir nur recht sein. Während ich in Ruhe frühstückte, verließen sie das
Haus. Beim Frühstück dachte ich darüber nach, was ich Silvester anstellen
sollte. Mit einem Freund auf eine Party gehen? Zu Corinna gehen? Bestimmt
würde sie eine Party schmeißen! Anne würde bestimmt auch wieder dort sein.
Ich war höchst unentschlossen. Wo ich gerade an Anne dachte, da schweiften
meine Gedanken ab in den vergangenen Sommer, mir fiel die Party ein, auf
der ich Anne gefickt hatte. Ich hatte sie seitdem nie wieder gesehen, mit
Susan hatte ich nur in der Schule Kontakt gehabt. Eines Tages hatte sie
mir mitgeteilt, daß sie nie wieder fremd gehen würde und sie hatte sich
bis heute auch daran gehalten. Ich war auch nicht scharf darauf, von ihrem
Freund halb tot geschlagen zu werden, also ließ ich die Finger von ihr.
Das Läuten des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. »Hallo, hier ist
Annabelle! Wie geht's dir?« Annabelle! Wir hatten uns die ganze Zeit über
feurige Briefe geschrieben, aber ihre Stimme hatte ich seit dem Sommer
nicht mehr gehört. Mein Herz begann, schneller zu schlagen. »Gut, danke
der Nachfrage! Und dir?« Was für ein blöder Gesprächsanfang, aber ich war
eben nicht kreativer. Was sollte ich auch sagen! »Um die Wahrheit zu
sagen: Ich habe dich vermißt.« Sie hatte mich vermißt. Während sie mir
nachtrauerte, hatte ich mit zwei anderen Mädchen geschlafen, aber es war
nur aus Lust passiert! Aber jetzt wo sie es sagte, wurde mir ganz warm ums
Herz, sie war so aufrichtig und anhänglich! Mir wurde mit einem Male klar,
daß auch sie mir fehlte. Was waren schon diese Frauen wert, mit denen ich
es getrieben hatte? Mehr als Sex wollten sie sowieso nie. Nie wäre eine
richtige Beziehung daraus entstanden. »Ich habe dich auch vermißt. Sehr
sogar.« »Ich möchte dich gern wiedersehen. Ich dachte vielleicht, du
könntest Silvester zu uns nach Bremen kommen. Ich würde mich sehr freuen.«
Natürlich! Das war die Lösung. Silvester bei Annabelle. »Danke für die
Einladung, ich bin dabei.« Annabelle sagte, sie würde mich abholen kommen.
Das Feuer in meinem Herzen war wieder aufgeflammt, ich spürte das
Verlangen, wieder mit ihr zusammen zu sein, ganz nah bei ihr. Nach dem
Telefongespräch schwang ich mich trotz der Eiseskälte auf mein Fahrrad und
fuhr mit Höchstgeschwindigkeit ins nächstgelegene Reisebüro, um mir
Fahrkarten nach Bremen zu besorgen.
Endlich war der große Tag gekommen. Es war der 31.12. und ich saß im
InterCity nach Bremen. Konnte das dumme Ding nicht schneller fahren? Die
Zeit verging nur sehr langsam. Ich versuchte, zu schlafen, aber ich war
einfach zu aufgeregt und so hörte ich Musik aus meinem Walkman. Der Zug
kam nach dreistündiger Fahrt endlich mit quietschenden Bremsen zum
Stillstand. Ich packte meinen Rucksack und sprang mit einem Satz auf den
Bahnsteig. Alles war voller Menschen, einige begrüßten einander und
umarmten sich. Ich sah mich um, konnte Annabelle aber nicht entdecken.
Darum wartete ich, bis die Menge sich etwas gelichtet hatte und da sah ich
sie endlich. Sie hatte mich bereits entdeckt und lächelte mich an. Sie sah
immer noch so süß wie vor einem halben Jahr aus, die Haare trug sie noch
genau so. Nur sah sie irgendwie reifer aus, sie hatte Make-up aufgetragen
und sich sehr modisch gekleidet. Trotz der Kälte trug sie eine dunkelblaue
Jeansjacke, die nur bis knapp über ihren Po reichte. Darunter trug sie
einen dunkelgrauen Wollpullover. Um den Hals hatte sie einen hellbraunen
Schal aus Wolle geschlungen, der gut zu dem Pullover und der Jacke paßte.
Die sportlichen Beine steckten in einer enganliegenden Stretchhose, die
ein ganz feines Muster aus kleinen schwarzen und dunkelgrauen Quadraten
besaß. Annabelle trug elegante schwarze Lederschuhe mit hohen Absätzen.
Kurz: Sie sah aus wie eines dieser unerreichbaren Mädchen, die man in
feinen Einkaufszentren herumstolzieren sieht und die einen keines Blickes
würdigen. Das tat Annabelle natürlich nicht. Der Bahnsteig war inzwischen
fast leer, Annabelle und ich gingen zögernd aufeinander zu. Als wir uns
trafen, beugte ich mich zu ihr herunter und wir umarmten uns lachend. Ich
griff unter ihren Schultern hindurch, umfaßte ihren Rücken und hob sie
hoch, so daß ihr Gesicht genau vor meinem war. Sie strahlte mich an. Ich
küßte sie ganz sachte auf die Lippen und sie schloß genießerisch die
Augen. Als sie sie wieder öffnete, konnte ich sehen, daß sie feucht waren.
»Schön, daß du wieder bei mir bist«, sagte sie.
Mit der Straßenbahn und mit dem Bus fuhren wir zu ihr nach Hause. Während
der Fahrt erzählte sie mir, daß ihre Eltern über Silvester bei Freunden
seien. Indirekt sagte sie mir damit, daß wir freie Fahrt hatten, wir
konnten alles machen, was wir wollten.
Annabelle wohnte mit ihren Eltern in einer gepflegten Neubausiedlung, in
der es nur Reihen- und Einzelhäuser gab. Eine typische Siedlung für den
Mittelstand, wahrscheinlich gab es hier viele junge Familien mit kleinen
Kindern, die tagsüber miteinander in den Spielstraßen Fußball spielten.
Annabelle ging durch einen kleinen Vorgarten zu »ihrem« Reihenhaus.
Während sie aufschloß, griff ich in meinen Rucksack und holte die Rose,
die ich vor der Abfahrt für sie gekauft hatte, hervor. Drinnen überreichte
ich sie ihr. »Danke! Das ist aber lieb von dir!« Sie kam zu mir und wir
küßten uns erst normal, dann verschmolzen unsere Münder und unsere Zungen
spielten in einem schlüpfrigen Tanz miteinander. Ein starkes Gefühl von
Liebe breitete sich in meinem Herzen aus. »Ich muß dir etwas gestehen«,
sagte ich zu ihr, als ich meine Zunge mit einem schleimigen Geräusch aus
ihrem Mund gezogen hatte. »Du bist mir nicht treu gewesen?« »Ja, du hast
recht. Woher weißt du das?« »Na ja, das mit Kerstin hat mir ja gezeigt,
daß du leicht rumzukriegen bist, wenn es um das gewisse eine geht. Und da
du ja nicht schlecht aussiehst, wird es bestimmt Mädchen gegeben haben,
die dich gern im Bett wollten.« »Du bist mir nicht böse?« »Nein, jeder
Mensch braucht doch sexuelle Befriedigung, sonst würde er doch verrückt
werden. Ich war dir übrigens auch nicht treu…ich habe mit einem Jungen
geschlafen, den ich auf einer Party kennengelernt habe, ich war
betrunken…« »Laß uns das einfach vergessen und den Tag genießen, es ist
ein ganz besonderer!« »Stimmt, Schwamm drüber!« Wir lachten beide
verlegen. Wie schön, daß sie so unkompliziert war. Dann zeigte sie mir ihr
Zimmer, welches sich im oberen Stockwerk befand. Es lag, genau wie das von
Susan unter der schrägen Wand des spitzen Daches. Die Wände waren weiß und
der Raum war mit Möbeln aus Kiefernholz ausgestattet. Zu meiner
Überraschung stand auf dem Schreibtisch am Fenster ein Monitor, der PC
befand sich unter der Schreibtischplatte. Annabelle hatte meinen Blick
bemerkt. »Ich weiß nicht, was es für einer ist, ich schreibe nur Texte für
die Schule damit.« »Du wärst auch das erste Mädchen, daß ich kenne, das
weiß, was für einen PC sie eigentlich besitzt.« Sie lachte. »Du kannst
heute Nacht bei mir im Bett schlafen, wenn du willst.« »Natürlich will ich
das!!!«, antwortete ich mit gespielter Entrüstrung. »Wenn du willst, dann
zeige ich dir heute ein bißchen die Stadt, obwohl es ja ziemlich kalt
ist.« »Das macht nichts, außerdem kommt man ja nicht alle Tage nach
Bremen.« Also legte ich meinen Rucksack in ihrem Zimmer ab und wir fuhren
wieder in die Innenstadt. Diesmal hatte sich Annabelle eine warme,
knallgelbe Daunenjacke angezogen, die zu ihrer sportlichen Erscheinung
paßte. Sie zeigte mir die Bremer Innenstadt, hier gab es einige
Sehenswürdigkeiten wie z.B. den Dom oder die Bremer Stadtmusikanten. In
einem kleinen Viertel, der Altstadt, daß von vielen engen Gäßchen
durchzogen war, aßen wir in einem gemütlichen (und teuren) Cafe ein Stück
Kuchen und tranken jeder eine Tasse heißen Tee, der unseren ausgekühlten
Körper das Gefühl von Wärme vortäuschte. Annabelle meinte, daß es am Abend
ab 20 Uhr von einem Radiosender eine sehr große Party geben würde und wir
beschlossen, diese zu besuchen. Um acht - wir waren inzwischen wieder
zuhause - machten wir uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg zu
besagter Party. Es war brechend voll und Annabelle und ich stürzten uns
sogleich auf die Tanzfläche, um nach Herzenslust zu der klassischen
Partymusik abzudancen. Annabelle trug wieder ihre schicke weiße Bluse und
die Hose, die sie auch beim Bahnhof anhatte. Um die Hüfte hatte sie ihren
Pullover geknotet. Beim Tanzen schielte ich des öfteren auf ihre Brüste
und ich hätte schwören können, daß sie sich seit dem Sommer etwas
vergrößert hatten. Beim Tanzen federten sie leicht mit. Die Musik machte
gute Laune und so verging die Zeit bis 23:59 sehr schnell. Es war ein
ausgelassener, lustiger Abend. »Drei, zwei, eins, Prost Neujahr!« gröhlte
der DJ des Radiosenders in sein Mikro und alle umarmten sich. Man hörte
aus allen Richtungen das Klirren von Sektgläsern. Ich stieß mit Annabelle
an und wir sahen uns tief in die Augen. »Auf uns«, sagte ich zu ihr. »Auf
die Liebe, sagte sie. Dann gingen wir nach draußen, um uns das Feuerwerk
anzusehen. Es war verdammt kalt, ich legte den Arm um Annabelle und sie
schmiegte sich an mich. In ihrem Gesicht konnte ich ein permanentes
Lächeln feststellen, sie war glücklich.
|
|