10. Die Liebe auf der Flucht
Bis die Ferien begannen waren Lisa und ich unzertrennlich; wir verbrachten
jede Nacht zusammen, obwohl das nicht ohne Irritationen und Komplikationen
ablief. Am Mittwoch war sie mit Freundinnen verabredet. Ich hatte ihr
einen Schlüssel für meine Wohnung gegeben. Es wurde spät, ich schlief
bereits, als sie zurückkehrte und erwachte erst am nächsten Morgen wieder.
Als ich die Augen aufschlug, blickt ich in ihre. Mittlerweile wußte ich,
wie sehr sie es liebte, mich im Schlaf zu beobachten. Sie schlang ihre
Arme um meinen Hals und küßte mich. "Es ist so schön, neben Dir
aufzuwachen."
"Ja" murmelte ich verschlafen und zog sie an mich. So verharrten wir noch
eine Weile, bis uns der Wecker aus dem Bett scheuchte.
An diesem Abend war ich mit Doris verabredet. Das paßte mir gut. Ich
wollte mir zeigen lassen, wie man eine Frau fachgerecht züchtigte. Doris
sah mich zunächst erstaunt an, als ich diesen Wunsch äußerte, dann
allerdings schien der Gedanke ihr zu gefallen. Sie zog sich bis auf die
Strümpfe aus, und fragte, in welcher Position ich sie zu schlagen
gedächte.
"Bleib zunächst einfach stehen und präsentiere mir Dein Hinterteil...
Welches Werkzeug empfiehlst Du einem Anfänger."
Sie richtete den Rücken auf und legte die Hände an den Hinterkopf.
"Die Reitpeitsche ist für den Anfang gut... damit kannst Du am wenigsten
falsch machen."
Ich zog die lederne, am Ende breit auslaufende Gerte aus dem Schirmständer
und schlug ein paar Mal durch die Luft.
Dann tätschelte ich mit der Spitze der Gerte Doris' Pobacken. Es klatschte
leicht, und sie hielt unwillkürlich den Atem an.
"Du mußt möglichst gerade auftreffen, im rechten Winkel. Und die Bewegung
soll aus dem Handgelenk kommen."
Ich schlug etwas härter zu. Doris zuckte zusammen. Ich ging in die Hocke,
bearbeitete ihre Oberschenkel mit leichten Schlägen, kam erneut hoch und
nahm mir wieder ihren Hintern vor. Eigentlich konnte man in der Haltung
nichts falsch machen, wenn man wußte worauf es ankam. Ich ab Doris einen
kräftigeren Schlag und tauschte dann die Reitpeitsche gegen den Rohrstock.
"Und was ist bei dem Rohrstock zu beachten."
"Damit kannst Du eine Frau übel zurichten... Du mußt ebenfalls gerade
schlagen. Und die Kraft in den Ansatz des Schlags legen. Am Ende sollte
die Bewegung weniger kraftvoll als schnell sein.
Ich nickte und strich mit der Hand über die Gerte. Doris stand nach wie
vor bewegungslos mit dem Rücken zu mir gewandt. Sachte tätschelte ich
zunächst ihr Hinterteil um ein Gefühl für das Instrument zu bekommen, und
verpaßte ihr dann einen leichten Schlag. Der Trick bestand offenbar
tatsächlich nur darin, das Handgelenk schön locker zu lassen. Beim dritten
Schlag stöhnte Doris laut auf.
"Ist das gut so?" fragte ich.
"Ja... Du kannst ruhig noch härter schlagen..."
Ich kam der Aufforderung umgehend nach, täuschte ein paar Schläge nur an,
und schlug dann noch härter zu. Und gleich noch einmal. Doris schrie auf.
Nach einem weiteren Schlag stellte ich den Stock wieder in den
Schirmständer. Doris blieb regungslos stehen.
"Gut" sagte ich, "ich glaube ich habe es begriffen... Du hast Dir eine
Belohung verdient. Du darfst es Dir selbst besorgen, während ich Dir dabei
zusehe... leg Dich auf Bett, aber so, daß ich Deine Möse sehen kann."
Doris gehorchte. Sie legte sich mit dem Rücken so auf das Bett, daß ihre
Füße den Boden berührten und begann, ihre Klitoris zu stimulieren. Ich
setzte mich auf einen Stuhl und sah ihr zu. Dabei spielte ich mit meinem
Schwanz, den ich aus der Hose geholt hatte. Nur um ihr einen Gefallen zu
tun, ich hatte nicht vor sie zu ficken. Nach einer Weile kam ich zu dem
Schluß, daß sie zusätzliche Stimulation benötigte.
"Wo sind Deine Vibratoren?"
Sie deutete mit dem Kopf auf die Kommode neben der Tür. "In der obersten
Schublade."
Ihre Spielzeugsammlung war beeindruckend. Ich wählte einen ganz normalen
Dildo mit Elektroantrieb aus und drückte ihn ihr in die Hand.
"Hier, schieb Dir den in Deine Möse Du Schlampe, dann hast Du mehr Spaß."
Ich wußte, daß es sie anmachte, wenn ich so mit ihr redete.
Sie nickte, schaltete den Vibrator an und führte ihn ein. Ich setzte mich
erneut auf den Stuhl und wichste meinen Steifen.
Es dauerte nicht lange, bis es ihr kam. Ich stand auf und verfrachtete
meinen Schwanz wieder in der Hose.
Doris sah mich erstaunt an. "War es das schon? Wir haben doch gerade erst
angefangen."
Ich ging zum Bett und küßte sie. "Tut mir leid, das müssen wir auf ein
anderes Mal verschieben... Danke für den Unterricht."
Sie lächelte und nahm meine Hand. "Es ist Lisa, nicht wahr... Sieh mich
nicht so an. Der Barkeeper im Club ist beizeiten ein wenig indiskret...
Ich würde die Finger von ihr lassen, ich glaube sie ist ziemlich zickig.
Aber viel Glück... Und denk' daran, was wir noch für Spaß miteinander
haben können."
Ich fuhr zu Lisas Wohnung. Es war erst zehn Uhr. Sie korrigierte im
Wohnzimmer Klassenarbeiten während im Fernseher ein Krimi lief. Ich ging
zu ihr und küßte Sie.
"Ich bin gleich fertig. Wollen wir noch ein Glas Wein trinken."
Ich nickte.
"Dann mache doch bitte eine Flasche auf. Ich nehme an, Du findest alles."
Ich nickte erneut, ging in die Küche und kam mit zwei Gläsern Wein zurück.
Ich stellte ihr ein Glas auf den Eßtisch, setzte mich mit dem anderen aufs
Sofa und versuchte zu entschlüsseln, worum es in dem Film geht.
"Stell' doch den Fernseher aus und leg' Musik auf" bat Lisa mich.
Ich kam ihrer Aufforderung nach. Kurz darauf war sie mit der Arbeit fertig
und kam zu mir. Wir kuschelten uns aneinander und sprachen über den
kommenden Urlaub. Wir würden mit ihrem Auto fahren, einem nagelneuen
Renault-Kombi. Mein altersschwacher Fiat war für derart lange Strecken
nicht mehr tauglich und auch nicht geräumig genug. Mein Zelt war kaputt,
also mußte ich ein neues kaufen. Wir würden zuerst nach England, und dann
nach Frankreich fahren. Flexibel bleiben, also die Nachtfähren nehmen...
Als wir diese Dinge besprachen, baute sich eine schier unbändige Vorfreude
in uns auf. Wir hätten sofort losfahren können.
An diesem Abend hatte ich aber noch etwas anderes vor, also schlug ich
vor, ins Bett zu gehen, bevor es dafür zu spät war. Ich richtete es so
ein, daß sie schon im Bett lag, als ich ins Schlafzimmer kam. Ich blieb in
der Tür stehen. Auch Lisa besaß einen Schirmständer mit
Schlaginstrumenten. Ich zog die Reitpeitsche heraus und sah sie fragend
an. Sie lächelte mich liebevoll an, schüttelte aber den Kopf. "Nein...
komm her bitte."
Sie nahm mich in die Arme und gab mir einen Kuß. "Es ist lieb, daß Du das
für mich tun willst, aber es geht nicht."
"Warum nicht?" fragte ich.
"Weil es Dich nicht anmacht. Du würdest es allein für mich tun. Und weil
ich das weiß, bringt es auch mir nichts."
"Aber wenn wir miteinander schlafen bringt es Dir nichts..."
"Oh doch, und ob. Frauen ticken da anders als Männer." Sie zog mich eng an
sich und küßte mich erneut. "Du mußt mir einfach glauben, daß ich Dich so
gern in mir spüre. Es ist eine Vereinigung... ich liebe diese Nähe. Aber
wenn Du mich schlagen würdest, wäre das ganz anders."
Ich nickte. Und doch würde es ihr nicht genügen, nicht auf Dauer. Und mir
auch nicht. Ich sprach es nicht aus und küßte sie statt dessen.
*
Dann war es soweit, endlich. Wir fuhren noch am Nachmittag des letzten
Schultags los. In der Nacht schifften wir in Oostende ein. Auf dem
Bootsdeck fanden wir eine freie Bank. Wir setzten uns, lehnten uns
aneinander und versuchten ein wenig zu schlafen. Als die Fähre in Ramsgate
anlegte, begann der Himmel im Osten sich zunächst noch kaum merklich
aufzuhellen. Ich fuhr das erste Stück. Wir umrundeten London, bevor der
Berufsverkehr einsetzte. An einer Raststätte hielten wir an, frühstückten,
kauften aktuelle Straßenkarten und fuhren dann weiter. Lisa saß nun am
Steuer. Dann gabelte sich die Autobahn.
"Nach Westen oder nach Südwesten" fragte ich sie.
"Laß' uns als erstes diesen magischen Berg besteigen. Du freust Dich doch
so darauf."
Also fuhren wir nach Westen, über die Severn-Brücke, dann nach Wales
hinein. Bei Caerlon verließen wir die Küstenautobahn und wechselten
erneut. Lisa war der Linksverkehr noch nicht ganz geheuer, und auf den
nächsten fünfzig Meilen wartete eine aberwitzige Konzentration von
Kreisverkehren auf uns. Schließlich hatten wir die dichtbesiedelten
ehemaligen Bergbaugebiete verlassen. In Builth Wells, einem düsteren
ehemaligen Kurort für lungenkranke Bergleute, pausierten wir. Wir tranken
einen Kaffee, aßen eine Kleinigkeit und kauften Milch und Toast. Dann
drängte Lisa mich zum Aufbruch.
"Dieser Ort ist mir unheimlich. All diese Kirchen, in denen früher
wahrscheinlich Presbyterianerprediger den todkranken Bergmännern mit
Gottes Zorn und ewiger Verdammnis gedroht haben."
"Ja, laß' uns fahren. Mir gefällt es hier auch nicht. Aber es war die
letzte Möglichkeit zu rasten."
"Kannst Du bitte weiterfahren? Ich bin derart müde..."
"Sicher." Ich war hellwach, fast fiebrig erregt von der Aussicht, mit Lisa
auf den Cader Idris zu steigen.
Sie schlief kurz darauf ein. Glücklicherweise kannte ich die Strecke und
mußte keine Karte konsultieren. Vor Aberystwyth (wo angeblich 'the holyday
fun begins' aber in Wirklichkeit ewig Nachsaison ist) nach Norden
abbiegen, hinter Corris links auf die Straße nach Towyn, nach vierhundert
Metern dann rechts in die Einfahrt. Der Campingplatz war praktisch leer,
und so hatten wir die freie Auswahl. Ich fuhr einmal quer über die
ausgedehnte Wiese, stellte den Motor ab und öffnete die Wagentür. Lisa
schlug die Augen auf.
"Was ist?" fragte sie verschlafen.
"Wir sind da."
"Ja?" Sie holte eine Wasserflasche unter dem Sitz hervor und nahm einen
tiefen Schluck.
"Zigarette?"
Sie nickte. Ich zündete uns zwei Zigaretten an. Dann stiegen wir aus. Lisa
sah sich um.
"Es ist schön hier." Ich hatte das Auto wenige Meter von einem munter
plätschernden Bach entfernt aufgestellt, an dessen Ufer uralte Weiden
standen. Das Gewässer markierte die nördliche Grenze des Campingplatzes,
dahinter befand sich eine baumbestandene Schafweide hinter der sich der
Berg erhob. Der Aufstieg zum Cader Idris war buchstäblich nur einen
Steinwurf entfernt. An der Ostseite grenzte das Gelände an einen
halbverwilderten Park, der ehemals zu einem Herrenhaus gehört hatte, das
kurz nach dem Großen Krieg abgebrannt war. Mittlerweile war das Grundstück
Teil des Nationalparks. Im Westen lag das Haus der Landlady, im Süden
verlief die Straße, die aber nicht zu sehen war, da eine moosbewachsene
Steinmauer den Campingplatz vor Motorengeräusch und neugierigen Blicken
schützte. Die wenigen anderen Zelte verloren sich auf der weitläufigen
Wiese.
"Dieser Platz ist perfekt..." Lisa blickte zur Bergflanke hoch. Aus dieser
Perspektive sieht der Cader Idris aber alles andere als bedrohlich und
geheimnisvoll aus...Schaffen wir es noch, einen Blick auf den Kratersee zu
werfen?"
Ich sah auf die Uhr. "Nein, heute keinesfalls mehr. Aber keine Angst, das
Wetter wird sich halten. Wenn Du Lust hast, könnten wir morgen nacht auf
dem Gipfel schlafen. Jetzt sollten wir uns aber beeilen, das Zelt
aufzubauen, wenn die Sonne hinter dem Berg dort verschwunden ist, wird es
recht kühl werden."
"Was essen wir eigentlich zu abend?"
"Ein paar Kilometer die Straße runter ist ein Hotel. Das Essen dort war
beim letzten Mal durchaus in Ordnung."
Als wir das Zelt aufgebaut hatten, ging ich zum Haus der Landlady, um uns
anzumelden. Lisa holte derweil Wasser, um Kaffee zu kochen.
"Gibt es eigentlich in Wales einen Ort, an dem man keine Schafe blöken
hört?" fragte sie als ich zurückkehrte. "Dieses Geräusch verfolgt mich,
seit wir die Grenze überquert haben."
"In der Burg von Caernarvon wahrscheinlich. Und in der Innenstadt von
Cardiff sicherlich auch. Aber darüber hinaus gilt, was einst der große
Dichter schrieb: 'Denke ich an Wales, höre ich Schafe'."
Lisa lachte. "Ich wußte gar nicht, daß Du Dich mit Gedichten auskennst."
"Du weißt so vieles nicht von mir." Ich gab ihr einen Kuß.
"Aber ich will alles wissen" antwortete sie.
Am folgenden Morgen machten wir uns auf den Weg. Wir kletterten über den
Zaun der den Campingplatz vom Parkgelände trennte, und folgten einer
Platanenallee, die uns an die Bergflanke führte. Der Pfad zum Gipfel war
von einem Gatter versperrt, neben dem ein Hinweisschild angebracht war,
das den Weg erläuterte und einige Warnhinweise gab: Man sollte passende
Kleidung tragen, Karte, Kompaß, Trillerpfeife Taschenlampe, Nahrungsmittel
und ein Erste-Hilfe-Set mit sich führen, vor dem Aufstieg den
Wetterbericht konsultieren, daran denken, daß der Abstieg schwerer als der
Aufstieg ist, und bei jedem sich andeutenden Wetterumschwung sofort
umkehren. Wir schlossen das Tor hinter uns und begannen den Aufstieg. Auf
dem ersten Stück führte der Weg steil bergan durch eine dicht bewaldete
Schlucht, am Ufer eines Baches entlang, der sich in Kaskaden ins Tal
ergoß. Die Bäume zur Linken waren die Überreste eines uralten
Eichenwaldes, der seit Ende der letzten Eiszeit dort stand. Zur Rechten
setzte sich der Landschaftsgarten mit einer Vielfalt von unterschiedlichen
Nadelbäumen fort, Lisa identifizierte Mammutbäume, Zypressen, Kiefern,
Tannen und Douglasien. Zwischen den Bäumen wuchsen Blumen, Farne, Flechten
und Moose. Wir konnten uns allerdings nicht leisten, unseren Blick allzu
sorglos durch die malerische Szenerie schweifen zu lassen, denn auch wenn
teilweise Holzstufen in den Hang gelassen waren, mußten wir acht geben,
nicht ins straucheln zu geraten, die Steigung war enorm. Nach vielleicht
dreihundert Höhenmetern hörte der Wald auf, zuerst auf der Linken, dann
schließlich auch zur Rechten. Was blieb waren Farn, Felsen, Heidekraut und
mageres Gras. Nun ging es nicht mehr ganz so steil bergan, der Pfad
beschrieb einen weiten Bogen nach Westen, und führte durch eine von
steilen Bergflanken gesäumte Hochebene, die einigermaßen trostlos und
abweisend wirkte.
"Müßten wir nicht längst den Kratersee erreicht haben?" fragte Lisa. "Der
Weg scheint ja überhaupt kein Ende zu nehmen."
"Wir haben es gleich geschafft. Wenn wir die Felsen dort vorne umrundet
haben, können wir ihn sehen."
Im Zentrum des Cader Idris befindet sich ein hufeisenförmiger Kessel. Ein
riesiges natürliches Amphitheater, an dessen gegenüberliegendem Ende der
Kratersee lag, der Llyn Cau, das tiefblau schimmernde Tor zur keltischen
Unterwelt. Der Mythologie zufolge trieb der Totengott jede Nacht mit
seiner Hundemeute die Seelen der Verstorbenen zusammen und geleitete sie
durch den Llyn Cau ins Jenseits.
"Bist Du einverstanden, wenn wir dem See keinen Besuch abstatten und ihn
uns nur aus der Vogelperspektive ansehen. "
Lisa nickte. "Dieser Anblick erzeugt eine merkwürdige Beklemmung. Es ist
alles so..." sie suchte nach dem passenden Wort "... leer hier. Und
bedrückend still. Kein Vogel, nicht einmal das ansonsten so
allgegenwärtige Blöken der Schafe."
Das einzige Geräusch stammte tatsächlich von dem Bach, der dem Llyn Cau
entsprang und sich gurgelnd und plätschernd an der Nordseite des
Talkessels seinen Weg bahnte.
Wir bogen also von dem Weg ab, der zum See führte, stiegen linker Hand die
Innenseite des südlichen Sattels hoch und überquerten den Kamm. Auf der
von leuchtend weißen Quarzadern durchzogenen Außenseite des Cader Idris,
laut Karte ziemlich genau oberhalb unseres Campingplatzes, der aber von
dort nicht mehr sichtbar war, hielten wir eine kurze Rast.
"Wie ich sagte, es ist alles andere als ein Spaziergang" bemerkte ich.
"Man hält es nicht für möglich, aber hier kommen tatsächlich von Zeit zu
Zeit Leute um, die sich bei schlechtem Wetter verirren und abstürzen."
Wir wanderten weiter über öde Geröllfelder. Der Weg war teilweise kaum zu
erkennen; wäre die Strecke nicht durch im Abstand von ungefähr hundert
Metern aufgeschichtete Steinhaufen markiert gewesen, hätten wir uns mit
Sicherheit verirrt.
"Eine Landschaft wie auf dem Mars" meinte Lisa.
"Nicht ganz. Auf dem Mars wäre alles von rotem Staub überzogen... Aber
hier kann man tatsächlich glauben, daß man sich nicht in Wales, sondern im
Himalaja oder in den Anden befindet... Oder eben doch auf dem Mars."
Wir erreichten einen Nebengipfel, von dort führte der Weg dicht am Rand
des Kraters wieder ein gutes Stück bergab. An der tiefsten Stelle, bevor
der Anstieg zum Penygadair, dem eigentlichen Gipfel, begann, bogen wir vom
Pfad ab. Wenig später standen wir direkt über dem Llyn Cau. Ein heftiger
Aufwind blies uns ins Gesicht und erzeugte dort, wo er sich in den Felsen
verfing, merkwürdig klagende Geräusche. Als würden die Toten ihr Schicksal
beweinen.
Lisa zitterte leicht, als ob sie fröstelte, aber das lag sicher nicht an
der Lufttemperatur. Ihr war sichtlich unwohl an diesem Ort.
"Du spürst es auch, nicht wahr? Dieses vage Gefühl, daß dies kein Ort für
die Lebenden ist... Der Llyn Cau ist wunderschön, vor allem wenn er an
bewölkten Tagen seine Farbe immer und immer wieder verändert. Aber man
hält sich dort nicht lange auf."
Lisa ging nicht darauf ein sondern sagte nur: "Laß' uns bitte weitergehen,
ich möchte gern den Gipfel sehen."
Der Penygadair lag nur dreitausend Fuß über dem Meer. Weniger als tausend
Meter also, aber man hatte das Gefühl, auf dem Dach der Welt zu stehen. In
drei Himmelsrichtungen umgaben uns die walisischen Berge, und im Westen
lag am Ende eines langen Tales hinter einem breiten goldenen Strand das
Meer, wie eine vage Verheißung. Ein Stück unter dem Gipfel befand sich
eine kleine Hochebene auf der eine Handvoll anderer Wanderer Rast hielt,
die wahrscheinlich den leichteren Aufstieg von Dolgellau aus genommen
hatten und sich an der Aussicht und dem schönen Wetter erfreuten. Dorthin
begaben auch wir uns.
Wir saßen schweigend Seite an Seite auf einer Wolldecke, tranken Tee aus
der Thermoskanne und schauten immer wieder auf das Meer. Nach einiger Zeit
tauchte ein Mutterschaf mit seinem Jungen auf. Ich griff in meinen
Rucksack, nahm eine Packung Cracker, stand auf und näherte mich langsam
den Tieren, die zwar neugierig, aber auch nervös waren. Dennoch flohen sie
nicht, selbst dann nicht, als ich direkt vor ihnen stand. Ich ging in die
Hock, streckte vorsichtig die linke Hand aus und gab dem größeren Tier
etwas zu fressen. Gleichzeitig kraulte ich mit der Rechten ganz sanft den
Kopf des Schafs. Ich warf ihm noch einen Cracker zu, erhob mich dann und
ging zu unserem Rastplatz zurück.
Lisa sah mich staunend an. "Wie hast Du das denn geschafft?"
Ich grinste. "Jacob's Cream Cracker. Die Schafe hier sind derart wild auf
Salz..." Ich setze mich wieder und drehte uns Zigaretten von dem Tabak,
den wir in Belgien gekauft hatten. Kurz darauf kam eine Heringsmöwe
angeflogen und landete neben uns. Gedankenverloren zerbrach ich einen
weiteren Cracker und fütterte den Vogel damit. Der würdigte mich
allerdings keines Blicks sondern hatte seine Augen statt dessen ebenfalls
auf das Meer gerichtet; als wollte er herausfinden, was es dort zu sehen
gab. Die fremden Wanderer blickten fasziniert zu uns herüber. Aus der
Distanz mußte es so aussehen, als würde die Möwe zu uns gehören. Dann
schaffte ich es doch, Blickkontakt mit dem Vogel herzustellen und ihm wie
den Schafen kurz über den Kopf zu streichen. Offen gestanden war ich
hinterher froh, keine Bekanntschaft mit dem Schnabel gemacht zu haben,
aber ich dachte, daß es Lisa gefallen würde.
"Schatz, kannst Du bitte feststellen, ob es ein Junge oder ein Mädchen
ist. Wenn wir sie mitnehmen wollen, müssen wir ihr doch einen Namen
geben."
Lisa lachte laut auf. "Du Spinner! Das fehlte noch, eine Möwe in meinem
Auto. Aber Deine Tricks sind faszinierend."
Ich zuckte mit den Achseln. "Diese Möwen sind so gierig, die versuchen es
bei jedem. In Barmouth kann man sie mit Fish und Chips anlocken... Aber
man kann nie wissen, vielleicht ist sie auch einer der Geister des Berges,
und die muß man versöhnen, bevor man versucht hier zu übernachten.."
Die Möwe leistete uns noch über eine halbe Stunde Gesellschaft, so daß ich
mich zu fragen begann, ob wir uns vielleicht in einem früheren Leben
begegnet waren. "Eigentlich nicht so schlecht, als Heringsmöwe
reinkarniert zu werden," dachte ich laut, und Lisa lachte erneut.
Irgendwann flog der Vogel aber doch davon, ich gab ihm noch einen ganzen
Cracker mit auf den Weg, vielleicht gab es Kinder, die zu versorgen waren.
Als die anderen Wanderer verschwanden, breiteten wir in einer Mulde unsere
Schlafsäcke aus. Wir aßen die mitgebrachten Sandwiches, tranken Cider und
sahen der Sonne zu, die sich langsam dem Horizont näherte, um in die
Unterwelt hinabzusinken.
"Glaubst Du an Wiedergeburt?" fragte Lisa mich unvermittelt.
Ich schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Aber es ist eine schöne
Vorstellung, die Menschen die man liebt in einem anderen Leben
wiederzutreffen... Und in einem anderen Leben erneut eine Chance zu
bekommen, sich zu vervollkommnen... Aber wie die Dinge liegen, müssen wir
das eine Leben, das wir haben, so gut wie möglich nutzen."
Lisa nahm meine Hand. "Ich glaube auch nicht daran. Aber als ich mich in
Dich verliebt habe war das wie ein Wiedererkennen. Wir stiegen vor meiner
Wohnung aus dem Taxi, und plötzlich wußte ich, wer Du bist... Ich hätte
Dich niemals gebeten, meinen Hintern zu verarzten, hätte ich nicht das
Gefühl gehabt, daß Du mich ohnehin in und auswendig kennst, und ich nichts
vor Dir verbergen muß."
Ich nickte, sagte aber nichts. Dann stand ich auf, und brachte den
Geistern des Berges ein Opfer aus Tabak und Cidre. Auf dem Cader Idris zu
übernachten war riskant, am Morgen erwachte man entweder als großer Poet,
oder war wahnsinnig geworden.
Kurz vor Sonnenuntergang flüsterte Lisa mir zu: "Ich möchte Dich in mir
spüren, bevor die Sonne im Meer versunken ist."
Wir zogen uns langsam aus, die Luft war angenehm kühl, aber nicht kalt.
Lisa legte sich auf ihren Schlafsack und spreizte die Beine. Ich
befeuchtete sie mit der Zunge, und drang dann vorsichtig in sie ein. Dann
lagen wir einfach nur still da. Schließlich küßte sie mich und flüsterte:
"Ich möchte jetzt auch eine Opfergabe von Dir."
Ich begann mein Becken zu bewegen. Als die Sonnenscheibe das Wasser
berührte, spritzte ich in ihr ab. Es fühlte sich tatsächlich an wie ein
feierlicher Augenblick, ein heiliges Ritual.
Lisa strich mir durch die Haare. "Ich liebe Dich" sagte sie leise.
"Und ich liebe Dich" antwortete ich. Es war wie ein Schwur. Aber würde
Liebe allein ausreichen, um uns glücklich zu machen? Ich ahnte daß uns
nicht gelingen würde, vor der Realität zu fliehen, so weit wir auch
davonfuhren.
*
Vierzehn Tage später stiegen wir erneut auf einen Berg. Dieses Mal war es
der Mont Aigoual in den Cevennen. Wir wanderten Hand in Hand im Licht des
Mondes durch den Garten Gottes. Das alte Arboretum, das diesen poetischen
Namen trug, erstreckte sich über mehr als fünfhundert Höhenmeter bis fast
zum Gipfel. Wir schwiegen und lauschten den Geräuschen des Waldes. Ein
Rascheln hier, der Ruf eines Käuzchens dort. Und dann wieder vollkommene
Stille. Immer wenn der Weg schwieriger wurde, schalteten wir unsere
Stirnlampen an. Es dauerte Stunden, bis wir das Gipfelplateau erreicht
hatten. Der Mond ging gerade unter. Wir breiteten unsere Schlafsäcke auf
einer kleinen Erhebung in Sichtweite des Observatoriums aus, setzten uns,
blickten nach Osten, tranken etwas Wein, rauchten und erwarteten den
Sonnenaufgang. Der Himmel hatte sich nur unmerklich verfärbt, als der
Horizont an mehreren Stellen schwach zu leuchten begann.
"Das sind die schneebedeckten Gipfel der Alpen" flüsterte Lisa. Der Himmel
hellte sich weiter auf, das Leuchten verschwand, und die dunkle Silhouette
des Bergmassivs wurde sichtbar.
"Komm, wir müssen uns umdrehen."
Wir blickten nun nach Westen. Dort war der Himmel noch tiefdunkel. Dann
ebenfalls ein Leuchten, dieses Mal ein blasses Orange. Die Pyrenäengipfel
reflektierten das Licht der Sonne. Das Schauspiel dauerte nur wenige
Minuten. Dann tauchte die Sonne über dem östlichen Horizont auf. Lisa
bedeutete mir, mich erneut umzudrehen. Im Südwesten sah man nun hinter
einer Kette von Bergkuppen die sonnenbeschienene See. Das Mittelmeer
wirkte wie eine Verheißung.
Wir liebten uns im Licht der aufgehenden Sonne, und wieder war es wie ein
Ritual. Danach schmiegten wir uns aneinander und schliefen ein. Als die
ersten Autos die Straße zum Observatorium hochkamen, erwachten wir, aßen
eine Kleinigkeit und machten uns an den Abstieg. Dann fuhren wir nach
Beauvoisin. Der Ort lag nur vierzig Kilometer Luftlinie vom Aigoual
entfernt, aber wir brauchten auf den engen und gewundenen Straßen über
eine Stunde. Wir frühstückten in einem Café am Rand des Marktplatzes,
saßen im Schatten unter römischen Arkaden. Wieder einmal erstaunte mich,
welche Urbanität diese kleinen Landstädtchen im Süden ausstrahlten. Der
Ort hatte höchstens fünftausend Einwohner, dem Treiben nach zu urteilen
hätte man sich ebenso gut in einer Großstadt befinden können. Dann nahmen
wir uns ein Zimmer in St. Firmin, einem nahegelegenen Ort, der wie
Beauvoisin im Tal der Devèze lag. Die Pension befand sich in einem
umgebauten Bauernhof. Lisa kannte die Eigentümer, Marie und Pierre. Es
stellte sich heraus, daß die beiden früher als Ethnologen gearbeitet, sich
dann aber in die Cevennen zurückgezogen hatten. Nach einem ausgedehnten
Mittagsschlaf war es zu spät, um noch etwas zu unternehmen. Also setzten
wir uns in den Garten und lasen. Irgendwann erhob sich Lisa, um Marie bei
den Vorbereitungen zum Abendessen zu helfen, während ich unsere Wäsche
aufhängte, die wir gleich nach der Ankunft in der Maschine verfrachtet
hatten.
Am Abend saßen wir mit Marie und Pierre zusammen, tranken Wein und
lauschten ihren Geschichten von fremden Ländern. Wir schliefen am nächsten
Morgen lange, und brachen dann zu einer Wanderung auf. Lisa, die die
Gegend offenbar kannte wie ihre Westentasche, führte mich. Unser Ziel war
die Causse Sauveterre, ein ausgedehntes Hochplateau, das sich über dem Tal
der Devèze erhob.
11. Die Elefanten Karls des Großen
Nachdem wir für ungefähr einen Kilometer der Landstraße nach Beauvoisin
gefolgt waren, bogen wir auf einen geschotterten Feldweg ein, der durch
einen lichten Mischwald aus Kiefern und Edelkastanien führte.
"Dieses lose Geröll ist lästig" bemerkte ich. "Nur gut, daß der Weg nicht
noch steiler ansteigt."
"Keine Angst" antwortete Lisa, "es geht nur für ein kurzes Stück so
weiter.
Die Schotterpiste führte schließlich aus dem Wald heraus und endete auf
einer Art Plateau. Rechts und links des Pfads lagen verdörrte Felder. Der
Weg wurde zunehmend schlechter und führte schließlich in eine Senke. Der
kleine Bach am Boden der Senke war ausgetrocknet, der Lehm an seinem Grund
steinhart und aufgesprungen. Auf der gegenüberliegenden Seite sah der von
magerem Gras bedeckte und von dornigem Gestrüpp gesäumte Pfad verdächtig
danach aus, als würde er sich bei Regen in einen Wasserlauf verwandeln.
Konzentriert wanderten wir weiter, es war alles andere als ein
Spaziergang. Mit jedem Schritt scheuchten wir einen Schwarm von
Schmetterlingen und Heuschrecken auf. Insbesondere Schmetterlinge gab es
in allen erdenklichen Farben. Von Zeit zu Zeit raschelte es in den
Sträuchern, weil eine Maus oder eine Eidechse vor uns floh.
Nach einigen hundert Metern war der Pfad erneut von Bäumen umsäumt, er
führte am Rand eines Hangs steil bergauf, bis zu unserer Linken einige von
Wind und Wasser glattgeschliffene Felsen aus Dolomit auftauchten, die aus
der Distanz wirkten wie die Reste einer alten Festung. Als wir die Felsen
umrundet hatten, veränderte der Weg vollkommen seinen Charakter. War er
gerade noch steil angestiegen und von Felsbrocken übersät gewesen, verlief
er plötzlich völlig eben, und der Boden war mit Erde bedeckt. Die Steine,
die von Zeit zu Zeit zum Vorschein kamen, waren an der Oberfläche fast
eben, und wirkten eher wie ein Straßenpflaster.
Ich pfiff leise. "Eine uralte Römerstraße."
Lisa nickte. "Schön, nicht? ... Wollen wir hier Rast machen? Wir haben den
beschwerlichen Teil hinter uns, und der Platz hier ist wirklich nett...
und schattig."
Die Dolomitfelsen boten eine ausgezeichnete Sitzgelegenheit.
"Ja gern." Ich setzte den Rucksack ab, wischte mir den Schweiß von der
Stirn und nahm einige tiefe Schlucke aus meiner Wasserflasche. Dann
blinzelte ich in das flirrende Licht. Das Spiel der Sonnenstrahlen im Laub
der Bäume war betörend. Dann spürte ich etwas auf meiner Hand. Ein Falter
mit schneeweißem Körper, schwarzen Augen, und Flügeln, die vorn grünlich,
hinten braun und obendrein orange gepunktet waren hatte sich auf dem
Handrücken niedergelassen und trank mit seinem Rüssel meinem Schweiß. Ich
erstarrte, blieb so ruhig wie möglich sitzen, um das Tier nicht zu
verscheuchen. Lisa machte ein Photo, dann breitete der Falter seine Flügel
aus und flatterte davon. Ich lächelte Sie an. "Von solchen Augenblicken
habe ich geträumt."
Sie sagte nichts, griff nur nach meiner Hand und drückte sie. Dann
schulterten wir erneut die Rücksäcke und wanderten weiter.
Eine ganzes Stück lang verlief der Weg am Rand einer tiefen Schlucht, die
man mehr erahnen als sehen konnte, da die üppige Vegetation den Blick
versperrte. Der Wald über und unter uns bestand fast ausschließlich aus
kleinwüchsigen Eichen, deren Stämme von Flechten und Moos bedeckt waren.
Zwischen den Eichen wuchsen einige Kiefern und eine Unzahl von
unterschiedlichen Sträuchern, ich konnte lediglich Buchsbaum und Ginster
identifizieren. Die Stille war fast vollkommen, nur von Zeit zu Zeit vom
Zirpen einer Grille oder dem Rascheln eines kleinen Tieres unterbrochen.
Dann machte der Weg erneut eine scharfe Kehre, führte eine Weile auf der
anderen Seite der Schlucht entlang, und stieg dann wieder steil an.
Hinter einer weiteren Biegung endete der Wald unvermittelt, und wir traten
hinaus in das gleißende Sonnenlicht.
"Jetzt sind wir auf der Ebene. Das heißt, an ihrem Rand."
"Besonders eben sieht es hier aber nicht aus, sondern ziemlich hügelig"
bemerkte ich.
"Alles ist relativ... im Vergleich zu den tiefen Schluchten ist es
flach..."
Tatsächlich stieg der Weg nur noch sehr moderat an. Zu beiden Seiten lagen
von Kalksteinbrocken übersäte Felder, die mit verdörrten Grasbüscheln
bewachsen waren, zwischen denen blau blühende Disteln leuchteten. Hier
oben gab es keine Schmetterlinge mehr, dafür umso mehr Heuschrecken. Mit
jedem Schritt scheuchten wir einen ganzen Schwarm von ihnen auf, so daß
wir permanent in eine Wolke von Insekten eingehüllt waren. Der Boden unter
unseren Füßen veränderte von Zeit zu Zeit die Farbe: von rötlichem Ocker
zu gelb, von gelb zu dunkelgrau, von dunkelgrau zu leuchtend Weiß, dann
wieder zu einem rostigen Rot. Zu unserer Rechten erhob sich mittlerweile
ein langgestreckter, mit niedrigen Nadelbäumen bestandener Höhenzug.
"Dort müssen wir rauf, aber hier geht es noch nicht." Lisa deutete auf
eine Klippe, die von der Kuppe zu den darunter liegenden Feldern abfiel.
Einige hundert Strecken- und etliche Höhenmeter weiter war die Klippe auf
eine Höhe von nur noch etwas mehr als einem Meter zusammengeschrumpft.
"Hier können wir lang..." meinte Lisa. Wir bogen vom Weg ab und gingen
hangaufwärts. Die sanfte Steigung wurde immer wieder von niedrigen
Abbrüchen aus Dolomitgestein unterbrochen, die aus der Distanz aussahen
wie Stufen, aber zu hoch waren, um sie einfach zu übersteigen, so daß wir
uns immer wieder quer zum Hang bewegen mußten, um einen Durchgang zu
finden. Schließlich waren wir auf der Kuppe angelangt und fanden uns
unversehens in einem Labyrinth aus kleinwüchsigen Kiefern, Ginster,
Wacholder und dornigem Gestrüpp wieder. Zwischen den Pflanzen bestand der
Boden aus nacktem Stein. Die strahlende Helligkeit des in der Sonne
leuchtenden Dolomit wurde noch übertroffen von weiß blühenden Blumen, die
zwischen den Bäumen und Sträuchern aufschienen.
"Wir müssen in Richtung Osten" verkündete Lisa. "Aber nicht zu hastig...
Die andere Seite dieses Hügels fällt ganz unvermittelt steil ab."
In dem lichten Wald einigermaßen die Richtung zu halten fiel uns nicht
schwer, wir mußten uns nur am eigenen Schatten orientieren. Und so standen
wir schon wenig später am Rand eines steilen Absturzes. Eine
Smaragdeidechse flüchtete vor uns.
Ich blickte nach unten und pfiff leise. Das Panorama, das sich
unvermittelt vor uns auftat, war in der Tat überaus beeindruckend. Fast
fünfhundert Meter unter uns lag die Devèze am Grund einer tiefgrünen
Schlucht. Das üppige Grün der Hänge wurde allerdings immer wieder durch
steil aufragende Felsklippen unterbrochen.
"Welch ein Kontrast... dieses Grün ist so üppig, und die Ebenen derart
ausgedörrt... Wie kann das sein?"
"Das Tal ist schattiger, der Regen, der auf den Causses fällt, versickert
sofort und tritt an den Hängen wieder zum Vorschein..." Lisa zuckte mit
den Achseln. "Genau weiß ich es auch nicht... Komm, wir können uns auf den
Steinhaufen dort setzen. Die Aussicht ist ebenso gut, und wir können
endlich ein Zigarette rauchen. Wenn es so windstill ist wie heute, besteht
keine Gefahr, daß unsere Glut weggeweht wird und einen Waldbrand auslöst."
"Gute Idee."
Die Landschaft lag zu unseren Füßen wie ein Panorama. Zur Rechten, im
Osten befand sich St. Firmin. Hinter dem Ort erhoben sich die bewaldeten
Ausläufer des Aigoul-Massivs. Zur Linken lag das Tal der Devèze, und uns
gegenüber, nördlich des Flusses, die Causse Layolle, eine Hügellandschaft
wie diejenige der Causse Sauveterre.
Mir war für einen Moment, als schwebten wir über all dem, als hätten wir
unsere Schwingen ausgebreitet und uns vom Erdboden erhoben. Wir führten in
einer Art zeitloser Gegenwart ein Leben voll ungezügelter Freude. Wir
waren unsterblich, unverwundbar und über jedes irdische Maß hinaus
verliebt. Ich beugte mich zu Lisa herüber und küßte sie.
"Es ist wundervoll" sagte ich. "Danke".
Sie blickte mich an und legte ihre Hand auf meine Wange. Zunächst lächelte
sie, dann wurde ihr Gesichtsausdruck ernst. "Ohne Dich würde all die
Schönheit mich traurig machen."
Ich antwortete nicht, sondern küßte sie erneut, lange und innig. Als wir
uns sattgesehen hatten, traten wir den Rückweg an. Lisa ging erneut voran,
so daß mich nicht nur die Schönheit der Landschaft betörte.
*
Am nächsten Tag trafen wir auf die Elefanten Karls des Großen. Lisa hatte
eine lange Wanderung geplant, die uns nach Süden in die Ausläufer des
Aigoual-Massivs führen sollte. Wir liefen bis zum Ende der Straße,
durchquerten einen Obstgarten und folgten einem ausgetrockneten Bachbett
bis wir hinter einer verfallenen Natursteinmauer auf einen Ziegenpfad
stießen, den Lisa in ihrem typischen Optimismus als Wanderweg bezeichnete.
Selbst mit Wanderschuhen und --Stöcken stellte der Aufstieg auf diesem
Pfad eine nicht unerhebliche Herausforderung dar. Fast eine Stunde lang
arbeiteten wir uns schweigend die Bergflanke hoch. Die Vegetation änderte
dabei merklich ihren Charakter. Hatten weiter unten am Hang verkrüppelte
Kiefern und Hartlaubgewächse dominiert, durchquerten wir wenig später
einen lichten Wald aus Zwergeichen und Buchsbäumen, der schließlich fast
unmerklich in ein fast undurchdringliches Gehölz aus Edelkastanien,
Rotbuchen und Kiefern überging. Unser Pfad mündete schließlich in einen
breiten Waldweg, der parallel zu dem an dieser Stelle nur sanft
ansteigenden Höhenzug verlief. Ungefähr zweihundert Meter weiter östlich
gabelte sich der Weg. Dort lag ein Findling, der genau die richtigen
Dimensionen hatte, um uns als Bank zu dienen.
Wir setzten uns, tranken einen Schluck Wasser und rauchten. Hier mußte man
keine allzu große Angst vor Waldbränden haben, zumindest solange man keine
brennenden Zigaretten in die Gegend warf. Der Kontrast zur Szenerie des
Vortags war verblüffend. Statt verdörrter Vegetation üppiges Grün und
saftiges Gras, keine Heuschrecken und nur vereinzelte Schmetterlinge,
dafür aber hörte man das Zwitschern von Vögeln. Auch die Luft fühlte sich
deutlich kühler an. Ich konnte kaum glauben, daß zwischen diesem Platz und
der Causse Sauveterre nur wenige Kilometer Luftlinie lagen.
Ich schüttelte den Kopf und Lisa lächelte.
"Verblüffend, nicht wahr? Das ist das Schöne an dieser Landschaft, sie
verändert ständig den Charakter. Du findest hier alles, was Dein Herz
begehrt. Weiter oben gibt es einen wundervollen von riesigen Fichten und
Mammutbäumen umsäumten Bergsee. Wenn Du an seinem Ufer liegst würdest Du
nie glauben, daß Du weniger als hundert Kilometer vom Mittelmeer entfernt
bist. Und dann wanderst Du einige Kilometer nach Süden, und kannst vom Col
du Minier aus in der Ferne Zypressen und Olivenhaine sehen... Aber laß uns
weiter gehen, es gibt noch so viel zu sehen."
Wir drückten unsere Maisblatt-Gitanes in der Blechdose aus, die uns auf
Wanderungen als Aschenbecher diente und schulterten die Rucksäcke. Wir
folgten dem Weg, der nach rechts führte und sanft anstieg. Ich ging ein
Stück hinter Lisa und beobachtete ein Eichhörnchen, als ich auf sie
prallte. Sie stand wie angewurzelt vor mir, und wir konnten nur knapp
vermeiden, zu stürzen. Als wir das Gleichgewicht wiedergefunden hatten,
nahm Lisa meinen Arm und sah mich an. "Sag' mir bitte, ob Du auch den
Elefanten dort vorne siehst." Ich war wie vom Donner gerührt. Tatsächlich
stand keine zwanzig Meter vor uns ein Dickhäuter und rupfte mit dem Rüssel
Blätter aus der Krone eines Kastanienbaums. Da der Weg an dieser Stelle
eine Biegung machte, war das mächtige Tier zum Teil von der Vegetation
verhüllt.
Für eine Weile standen wir wie Salzsäulen und starrten in Richtung des
Dickhäuters, der uns offenbar nicht bemerkt hatte.
"Ich glaube wir sollten umkehren" meinte ich unentschlossen.
Lisa nickte. "Das wird am besten sein..."
Wir waren gerade im Begriff den Rückzug anzutreten, als wir eine Stimme
hörten.
"Sie können ruhig näher kommen, es sind freundliche Tiere, die tun Ihnen
nichts." Ein etwa zwölfjähriger Junge kam auf uns zu. Er trug Sandalen,
Shorts und ein verblichenes blaues Hemd, hatte struppiges blondes Haar und
unwahrscheinlich blaue Augen. Er näherte sich bis auf fünf Meter und
winkte uns heran.
"Keine Angst, kommen Sie, die Elefanten freuen sich immer über Besuch."
"Es ist ein indischer Elefant, die sind tatsächlich harmlos" sagte ich zu
Lisa, war aber nicht völlig davon überzeugt. Wir gingen nach kurzem Zögern
dennoch auf den Jungen zu. Er streckte uns die Hand aus. "Hallo, ich bin
Pierre-Roger de Gaillac. Mein Opa ist der Wächter der Herde." Wir
schüttelten seine Hand und stellten uns im Gegenzug ihm vor.
"Kommen Sie, ich bringe Sie zu meinem Großvater, er wird über Ihre
Gesellschaft erfreut sein... Passiert nicht oft, daß wir Besuch bekommen,
ganz und gar nicht." Wir folgten Pierre-Roger, immer noch mit einem leicht
mulmigen Gefühl. Als wir bei dem Elefanten angelangt waren, der immer noch
ungerührt Blätter aus dem Baum rupfte und ins Maul stopfte, tätschelte der
Junge das Tier. "Das ist Fatima, unsere Älteste... Komm Fatima, sag
unseren Gästen guten Tag."
Fatima blickte uns aus ihren gutmütigen Augen an, unterbrach ihre
Beschäftigung und streckte uns den Rüssel entgegen, den Lisa und ich
zaghaft streichelten. Damit war das Interesse des Tiers an uns auch schon
erschöpft, und sie widmete sich erneut dem Laubwerk. Wir gingen weiter,
und erstarrten erneut. Als wir die Wegbiegung umrundet hatten, sahen wir,
daß sich hier nicht nur ein Elefant aufhielt, sondern eine ganze Herde,
mindestens sieben Tiere, davon ein Jungtier mit wenig mehr als einem Meter
Schulterhöhe.
Am Wegrand war eine Art Zigeunerwagen abgestellt. Vor dem Wagen stand ein
weißhaariger Mann an einem Campingtisch und hantierte mit einem Gaskocher.
Als wir näher kamen, richtete er sich auf und kam lächelnd auf uns zu. Er
trug zwar Arbeitskleidung, aber sein Auftreten paßte nicht dazu. "Ah, wir
haben Besuch. Wundervoll, das passiert hier oben viel zu selten..." Er
verbeugte sich und küßte Lisa formvollendet die Hand. "Raimond de Gaillac,
zu Ihren Diensten... Sie kommen gerade richtig, ich habe eben Kaffee
aufgesetzt. Sie trinken doch Kaffee?" Wir nickten und dankten ihm für die
Einladung. Gaillac wandte sich an den Jungen. "Holst Du bitte Stühle für
unsere Gäste Pierre?" Der Junge nickte, verschwand kurz hinter dem Wagen
und kehrte dann mit zwei Campingstühlen zurück. Wir nahmen am Tisch Platz.
Der Alte setzte eine Espressokanne auf den Gaskocher und verschwand dann
im Wagen, um Tassen zu holen.
De Gaillac lächelte uns an, als er den Kaffee einschenkte. "Die Szenerie
wird Ihnen sicherlich ein wenig surreal vorkommen. Man rechnet nicht
unbedingt damit, in den Cevennen auf eine Elefantenherde zu stoßen. Aber
tatsächlich leben die Tiere schon seit weit über tausend Jahren hier." Er
reichte uns den Zucker und fuhr dann fort. "Im Jahr des Herren 798
schenkte der Kalif Harun al Rashid Karl dem Großen zwei Indische
Elefanten. Der fränkische König übergab die Tiere einem Pferdeknecht
namens Arnaud, der sich im Krieg gegen die Sachsen ausgezeichnet hatte. Er
machte ihn zum Grafen von Gaillac und übertrug ihm das gesamte Massiv des
Aigoual zum Lehen, mit der Maßgabe, daß dieses Lehen verfallen würde,
sollten dort keine Elefanten mehr leben... Und seitdem hütet meine Familie
die Elefanten Karls des Großen... Es ist für mich eine Frage der Ehre,
diese Aufgabe selbst wahrzunehmen... Außerdem genieße ich die Sommer im
Freien, und die Gesellschaft meines Enkels."
"Und Sie sind der Graf von Gaillac, Nachfahre des Gefolgsmanns Karls des
Großen... Das ist eine faszinierende Geschichte" meinte Lisa und bot dem
Alten eine Gitane an. "Warum wissen die Menschen nichts davon?"
"Oh, viele wissen es. Aber das hier ist Privatbesitz. Wir freuen uns über
jeden Besuch, so lange nicht zu viel Besuch kommt, wenn Sie verstehen was
ich meine... Ich lasse nur Wanderer auf jene Teile meines Besitz, in dem
die Elefanten leben. Autos dürfen hier nicht fahren, mit Ausnahme der
Feuerwehr und der staatlichen Fortverwaltung selbstverständlich. Jedes
Fernsehteam würde ich umgehend verhaften und ihr Material beschlagnahmen
lassen..." Er lächelte. "Es ist so etwas wie eine Legende. Viele haben
davon gehört, aber nur wenige haben die Elefanten mit eigenen Augen
gesehen. Sie wissen ja ebensogut wie ich, daß Sie auf ihren Wanderungen
hier praktisch nie einer Seele begegnen. Und so soll es bleiben. Kein
Ansturm neugieriger Touristen..."
Lisa schüttelte den Kopf. "Tausendzweihundert Jahre Einsamkeit... Jenseits
der Zeit..."
Der Graf lächelte und schüttelte den Kopf. "Nicht ganz. Immer wieder kamen
Flüchtlinge in diese Gegend, und ihre Häscher folgten ihnen... Von
mittelalterlichen Ketzern bis zu den Widerstandskämpfern der Résistance...
Und natürlich gingen wir Gaillacs mit der Zeit. Ich zum Beispiel habe in
meiner Jugend an der Sorbonne Geschichte studiert und dann an der
Universität von Montpellier unterrichtet. Mein Vater hatte den Widerstand
gegen die Nazis in dieser Gegend organisiert, und einer meiner Söhne
arbeitet in Toulouse für Airbus... Wir sind also alles andere als
weltfremd... Aber gleichzeitig behüten wir unser Erbe." Er lachte erneut.
"Das hat natürlich primär einen praktischen Aspekt, denn wenn es hier
keine Elefanten mehr geben sollte, verfällt wie gesagt unser Lehen, und
alles geht an den französischen Staat als Rechtsnachfolger des
Frankenreichs."
Wir plauderten noch eine Weile, bedankten uns dann für den Kaffee und
brachen auf. Als wir außer Sichtweise waren, kniff Lisa mich in den Arm.
"Haben wir das eben geträumt?" fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht." Wie benebelt wanderten wir
durch den sonnendurchfluteten Wald. Es dauerte eine lange Zeit, bis wir
unsere Sprache wiedergefunden hatten.
"Das war..." Lisa fehlten sichtlich die Worte, um das eben Erlebte zu
beschreiben.
Ich versuchte es mit "überirdisch...", aber auch das traf es nicht.
Wir liefen eine weite Schleife und kamen schließlich an eine Stelle, wo
der Kalkstein von schwarz schimmerndem Ölschiefer durchsetzt war.
"Komm, laß uns nach Fossilien suchen. Das ist eine gute Stelle."
Wir fingen an, in dem dunklen Gestein zu scharren, das unter Druck
zerbröckelte und versteinerte Überreste von Meerestieren freigab. Bei den
meisten handelte es sich um Fragmente von Ammoniten oder Belemniten, aber
wir fanden auch zwei praktisch unversehrte Schneckenhäuser und einige
Brachiopoden, die auf den ersten Blick aussahen wie Muscheln, aber einer
seit endlosen Zeiten ausgestorbenen Gattung angehörten. Wir verstauten
unsere Beute und machten uns auf den Weg zu Marie und Pierre.
Zunächst irritierte die beiden unser verträumtes Schweigen, aber dann
lächelte Pierre.
"Ihr habt sie gesehen, nicht wahr? Die Elefanten Karls des Großen."
Lisa nickte.
"Habt ihr auch..." fragte ich.
Pierre schüttelte den Kopf. "Nein, leider nicht. Es heißt, man darf nicht
nach ihnen suchen. Sie finden Dich, wenn Du bereit bist."
"Und dann?"
Pierre lachte. "Hast Du an ihrer Weisheit teil. Oder sie bringen Dir
Glück. Keine Ahnung... Es geht doch nur darum, diese einmalige Erfahrung
zu machen. Oder?"
Lisa nickte. "Wahrscheinlich hast Du recht."
12. Das Ende von etwas
Am folgenden Tag fuhren wir nach Beauvoisin auf den Markt. Als wir unsere
Einkäufe getätigt und im Auto verstaut hatten, setzten wir uns in das Café
und betrachteten das Treiben um uns herum.
"Wäre es nicht wundervoll, hier zu leben?" fragte Lisa unvermittelt.
"Unter dieser Sonne, diesem weiten Himmel?"
Ich nickte.
"Man braucht nicht viel Geld... Es gibt hier jede Menge leerstehende
Häuser, die man herrichten, und verwilderte Gärten, die man wieder
kultivieren kann..."
"Man müßte trotzdem Arbeit finden. Ich habe kein Vermögen, von dem wir
zehren könnten..."
"Aber viel bräuchten wir nicht" insistierte Lisa. "Ich würde mich für den
Rest meines Lebens mit einem Plumpsklo und einer kalten Dusche begnügen,
wenn wir hier leben könnten."
"Damit hätte ich kein Problem" lachte ich. "Bei meinen Großeltern gab es
nichts anderes."
"Wahrscheinlich muß man nur wollen..." Sie sah mir fest in die Augen.
"Würdest Du hier mit mir leben wollen?"
"Ja" sagte ich. "Das würde ich wollen. Viel mehr als alles andere." Aber
Wollen heißt nicht Können, und schon gar nicht Dürfen. Ich hätte meine
rechte Hand für sie geopfert. Aber ich wußte, ich würde sie unglücklich
machen, auf kurze oder lange Sicht. Das sprach ich nicht aus, ich nahm
statt dessen ihre Hand.
Lisa strahlte mich an. "Ich liebe Dich" sagte sie leise, "mehr als ich
jemals mit Worten zum Ausdruck bringen könnte".
Ich nickte nur und küßte sie.
Trotz der nagenden Zweifel in meinem Hinterkopf verbrachten wir unseren
restlichen Urlaub damit, diese Phantasie auszuschmücken. Wenn wir auf
unseren Wanderungen an verfallenen Häusern vorbeikamen, malten wir uns
aus, wie wir sie restaurieren würden. Wir debattierten lange darüber, was
man im Leben tatsächlich brauchte, und was nur überflüssiger Ballast war.
Wie viel man bei Kleidung und Nahrung sparen könnte.
"Und beim Wein?" fragte ich einmal.
Lisa lachte und küßte mich. "Ich schicke Dich in die Weinberge. Mein
starker Mann wird einen Monat lang Trauben pflücken, und dann in
Naturalien entlohnt werden."
Vor meinem geistigen Auge sah ich mich, wie ich mit einem völlig mit
Weinkisten überladenen alterschwachen Renault-Kastenwagen einen von
Zypressen gesäumten Feldweg entlang holperte, an dessen Ende Lisa auf mich
wartete.
An einem anderen Tag stießen wir auf ein verlassenes Dorf. Früher mußten
hier mindestens sechs Familien gelebt haben, die genaue Anzahl der Gehöfte
war allerdings nicht zu erkennen, weil die Gebäude ineinander übergingen.
Wir setzten uns auf eine verfallene Steinmauer und rauchten.
"Wir könnten sicherlich das ganze Dorf kaufen" meinte ich nach einer
Weile. "Und dann zunächst ein Haus herrichten... Und dann die anderen
Gebäude inserieren, und sehen, wer sich dafür interessiert."
Lisa sah sich prüfend um. "Ja, lauter nette Familien. Aber keine Spinner.
Und wenn genug Kinder da sind, kann man sie auch selbst unterrichten...
Aber eigentlich sollten sie zur Schule gehen." Sie hielt kurz inne, und
fuhr dann entschlossen fort: "Meine Kinder sollen zu Fuß zur Schule gehen
können. Aber das ist bestimmt machbar."
Vor meinem inneren Auge tauchte die Vision zweier Mädchen in bunten
Sommerkleidern auf, die mit Schulranzen auf dem Rücken Hand in Hand über
eine Brücke schlenderten. Das Bild betrübte mich zu Tode. Ich war
achtundvierzig Jahre alt, viel zu alt, um noch Kinder in die Welt zu
setzen. Und auch zu alt, um mich als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft
zu verdingen, oder was immer auch wir uns für mich ausgemalt hatten. Für
Lisa hingegen waren diese Träume greifbar, und sie mußte nach ihnen
greifen, ehe es zu spät war. Ich würde ihr dabei helfen, so gut ich
konnte. Weil ich sie liebte. Aber genau deshalb würden wir uns trennen
müssen. Es dauerte eine Weile, bis ich diesen Gedanken in den Hintergrund
gedrängt hatte.
"Was ist los?" fragte Lisa. "Warum bist Du so still."
Ich sah sie an. "Ich dachte gerade an Deine Kinder. Sie werden genau so
schön sein wie Du."
Sie legte ihre Arme um mich, gab mir einen langen Kuß und strahlte mich
an. "Du machst mich so glücklich" sagte sie leise.
Genau darum ging es.
Ich haßte es, den Heimweg antreten zu müssen, mein Körper wehrte sich mit
jeder Faser dagegen, wieder nach Norden zu fahren. Wir verbrachten noch
eine Nacht in Burgund und eine an der Doubs, dann überquerten wir die
Grenze. Selbstverständlich regnete es, den ganzen langen Weg. Und ein Stau
folgte auf den nächsten. Als wir endlich zu Hause waren, tranken wir noch
ein Glas Wein und fielen dann in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Am folgenden Morgen frühstückten wir lange im Bett. Es war Sonntag, am
Montag würden wir wieder arbeiten müssen. Die Aussicht auf das, was kommen
würde, kommen mußte, bedrückte mich.
"Was ist mit Dir? Du siehst so bedrückt aus." Lisa strich mir mit der Hand
über die Wange.
"Ich will nicht hier sein. Ich will wieder zurück in den Süden, mit Dir."
Die Heftigkeit meiner Reaktion erschreckte Lisa. "Aber wir haben uns. Wenn
Dir kalt ist, kann ich Dich wärmen." Sie schmiegte sich an mich. Natürlich
hatte sie recht, im Prinzip.
Irgendwann standen wir auf. Ich mußte nach Hause, Wäsche waschen, nach der
Post sehen, Emails abfragen. Ich hätte Lisa gern gefragt, ob wir uns
gemeinsam eine Wohnung suchen wollten, aber das hätte es nur noch schwerer
gemacht.
*
Für eine Weile trug uns noch die Euphorie des Urlaubs. Ich versuchte mit
aller Macht, dem Unvermeidlichen auszuweichen. Wir klammerten uns
aneinander, dachten uns für jedes Wochenende aufregende Aktivitäten aus,
verbrachten unter der Woche die Abende im Kino, in der Oper, oder einfach
nur lesend im Bett. Wir hatten im Urlaub damit begonnen, uns Bücher
vorzulesen, immer abwechselnd, und hielten daran fest. Zuweilen bestand
Lisa darauf, daß wir französisch miteinander sprachen.
Dann aber kam der November. Die Tage wurden spürbar kürzer, ein kalter
Wind fegte durch die Straßen und trieb den Regen vor sich her. Eine tiefe
Melancholie erfaßte mich, legte sich bleischwer auf mein Gemüt. Ich
begann, mich Lisa zu entziehen, traf mich abends mit alten Freunden und
verbrachte immer mehr Nächte allein.
Aber noch wich ich Lisa aus, wenn sie fragte, was mit mir los sein. "Es
ist nur eine Phase, ich ertrage diese Winter nicht mehr" erklärte ich ihr.
Als immer deutlicher wurde, wie sehr Lisa unter meinem Verhalten litt,
konnte ich schließlich das Unvermeidliche nicht länger aufschieben. Am
einem kalten Dezembertag saßen wir auf ihrem Sofa. Lisa sah mich
unglücklich an. "Bitte sag' mir doch, was mit Dir los ist. Ich ertrage
diese Distanz zwischen uns nicht."
"Du weißt wie sehr ich Dich liebe" begann ich und sah ihr fest in die
Augen. "Und ich weiß wie sehr Du mich liebst. Aber gerade deshalb müssen
wir uns trennen. Ich würde Dich unglücklich machen, Du weißt es doch auch.
Ich bin zu alt für Dich. Du willst Kinder, und das wäre verantwortungslos.
Und ich kann Dich nicht befriedigen. Das mag Dir heute nicht wichtig sein,
aber irgendwann wirst Du mich dafür hassen."
Sie biß sich auf die Lippen. "Das ist doch Unfug. Du bist nicht zu alt...
Du wärst ein wundervoller Vater, ganz genau derjenige, den ich mir für
meine Kinder gewünscht habe..." Sie konnte nicht weitersprechen, Tränen
liefen über ihre Wangen.
"Ist da noch etwas anderes?" fragte sie schließlich. "Andere Frauen?
Kannst Du Dich nicht für ein Leben mit mir und unseren Kindern
entscheiden, weil da vielleicht noch jemand kommen könnte? Jemand
besseres?"
Ich schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, das mußt Du mir glauben. Ich
habe nie an eine andere gedacht. Nur an Dich... und an das, was ich Dir
nicht geben kann."
Wir schweigen einige Minuten lang. Dann sah Lisa mich an.
"Du konntest einfach nicht glauben, daß ich Dich so sehr geliebt habe...
Ich wollte nur mit Dir zusammen sein, in Deinen Armen einschlafen und
wieder erwachen, jede Nacht und jeden Morgen... Alles andere war mir egal.
Ich habe nie auch nur eine Sekunde lang etwas vermißt als wir zusammen
waren... Und ich würde nichts vermissen, so lange ich lebe... Aber wenn Du
das nicht glaubst..." Für eine Weile schwieg sie. "Geh jetzt bitte" sagte
sie dann unvermittelt. "Ich möchte allein sein. Ich ertrage es nicht, wie
Du da sitzt, so nah und doch völlig unerreichbar."
Ich griff nach ihrer Hand, die sie mir aber sofort entzog. "Kannst Du mir
verzeihen, irgendwann?" fragte ich.
"Sicher." Antwortete sie. "Irgendwann. Schließlich hast Du mich nie
belogen oder betrogen. Du hast mir nur das Herz gebrochen... Aber bitte
geh jetzt."
Ich stand auf, nahm meine Jacke und schloß die Wohnungstür hinter mir. Ich
wanderte ziellos durch den Regen und war völlig durchnäßt, als meine Füße
mich schließlich zu meiner Haustür führten.
*
Die gesamte nächste Woche lag ich mit einer schweren Erkältung im Bett.
Das Fieber linderte zunächst den Schmerz. Als ich schließlich wieder im
Büro erschien, fühlte ich mich vollkommen leer und unendlich erschöpft.
Ich erledigte meine Arbeit rein mechanisch, ging dann nach Hause, aß, was
sich in der Küche fand, sah dann fern oder lag einfach nur auf dem Sofa
und starrte an die Decke. Ich träumte jede Nacht von Lisa, und wenn ich
auf der Straße einer Frau begegnete, die ihr ähnelte, traf mich die
Erinnerung wie ein Schlag in die Magengrube.
Emma war die einzige, mit der ich über meine Gemütszustände sprach. Sie
diagnostizierte eine schwere Depression, allerdings eine von der Sorte,
die sich im Frühling verflüchtigen würde. Emmas Verführungskünste lenkten
mich von meinem Elend ab, und in den Nächten, die wir miteinander
verbrachten, träumte ich ausnahmsweise nicht von Lisa.
Irgendwann im März berichtete Emma, Doris habe ihr erzählt, daß Lisa einen
neuen Lover hätte. Einen Menschen namens Karl. "Sie meinte, ihr beide wärt
ihm damals im Club begegnet... Ich muß mir das auch mal ansehen. Ich stehe
zwar nicht auf solche Sachen, aber neugierig bin ich trotzdem."
Ich hörte den zweiten Satz kaum noch. Wer um alles in der Welt war Karl?
Eigentlich konnte das nur der Typ sein, mit dem Doris verschwunden war.
Eine Welle der Eifersucht und des Selbstmitleids überschwemmte mich. Ich
hätte heulen können, riß mich aber zusammen.
Im April beschloß Emma, daß es an der Zeit sei, mich gänzlich auf andere
Gedanken zu bringen. "Schluß mit der Trauer!" verkündete sie eines Tages.
"Der Frühling steht vor der Tür... Jetzt beginnt ein neues Leben!" An dem
Abend nahm sie mich mit zu einer Party in Bärbels Wohnung. Außer Bärbel
und Emma war Heide die einzige Frau, aber es waren einschließlich meiner
Person elf Männer anwesend. Nachdem man einige Gläser getrunken hatte und
einige Anzüglichkeiten die Stimmung aufgeheizt hatten, wurden wir von
Bärbel aufgefordert, uns auszuziehen. Sie und Heide knieten sich in der
Mitte des Zimmers hin. Die Männer umringten die beiden und wichsten ihre
Schwänze. Dann spritzte einer nach dem anderen über den Frauen ab. Auf
Emmas Aufforderung hin reihte ich mich ebenfalls ein und schoß meine
Ladung in Bärbels Gesicht. Dann beugten die beiden völlig mit Sperma
beschmierten Frauen sich über den Tisch und ließen sich nacheinander von
den Männern wahlweise in Möse oder Arsch ficken. Das Schauspiel hatte
seinen Reiz, ich bevorzugte aber Emma zu vögeln, während wir beide dem
Treiben zusahen. Als die anderen Männer erneut abgespritzt hatten, folgte
der dritte Akt der Inszenierung. Bärbel und Heide leckten sich das Sperma
erst vom Körper und dann aus ihren Öffnungen. Dieser Anblick machte einige
der Männer derart heiß, daß der Abend mit einer weiteren Fickrunde beendet
wurde.
Als die Männer gegangen waren, saßen Emma und ich noch mit Bärbel und
Heide zusammen und tranken ein letztes Glas Wein.
"Na, wie fandest Du es" wollte Heide von Emma wissen. "Bist Du beim
nächsten Mal dabei?"
"Ja, es war ziemlich geil Euch zuzusehen... Mal sehen, vielleicht mache
ich mit. Aber er ist dann auch dabei." Sie griff nach meinem Schwanz, der
sich bei dieser Vorstellung wieder regte.
Ich stürzte mich mit Emma und schließlich auch mit Doris in noch ganz
andere Ausschweifungen. Die Ablenkung wirkte aber immer nur für den
Moment, sie war nicht nachhaltig. Im Gegenteil, sie steigerte nur meine
Melancholie.
*
Dann rief mich Lisa an. Ich hatte monatelang nichts von ihr gehört. Ich
spielte manches Mal mit dem Gedanken, mich mit ihr zu verabreden, aber ich
hätte nicht gewußt, was ich ihr sagen sollte.
"Hallo Jochen."
"Lisa... das ist eine Überraschung... wie geht es Dir?"
"Na ja, man wird sehen... Ich würde mich sehr gerne mit Dir treffen.
Hättest Du diese Woche noch Zeit?"
"Meinetwegen schon heute abend." Ich war zwar mit Doris verabredet, aber
das konnte ich verschieben.
"Ja, das ist gut... Um acht bei Dir um die Ecke in der Tex-Mex-Bar?"
"In Ordnung, bis dann."
Nachdenklich legte ich den Hörer auf. Ihre Stimme hatte unsicher
geklungen. Sie wollte mir sicherlich irgend etwas wichtiges mitteilen.
Vielleicht, daß sie diesen Typen heiraten würde. Bei dem Gedanken spürte
ich eine Anwallung von Eifersucht. Aber dazu hatte ich kein Recht.
Trotzdem beneidete ich diesen Kerl darum, daß er ihr etwas geben konnte,
das außerhalb meiner Reichweite lag.
Ich war bereits kurz vor acht in der Bar, und aus irgendeinem Grund
nervös. Ich bestellte einen Daiquiri und zündete mir eine Zigarette an.
Lisa kam einige Minuten zu spät. Sie trug ein graues Kostüm, in dem sie
einfach hinreißend aussah. Ich stand auf und gab ihr zur Begrüßung einen
Kuß auf die Wange. Sie setzte sich und bestellte ebenfalls einen Daiquiri.
Eine Weile schwiegen wir.
"Schön Dich zu sehen" sagte ich schließlich. "Es ist eine ganze Weile
her."
Sie nickte. "Ja, das ist es." Lisa wirkte bedrückt und nervös zugleich.
Sie sah mich an, öffnete erneut den Mund, biß dann aber auf die Unterlippe
und zündete sich eine neue Zigarette an.
"Was ist los?" fragte ich. "Was bedrückt Dich? Hat es etwas mit Karl zu
tun?" Zum Glück war mir der Name ihres Lovers eingefallen.
Sie schüttelte den Kopf. "Kann ich Dich etwas fragen... mein Gott, ich
komme mir so blöd dabei vor." Ich griff nach ihrer Hand, aber sie entzog
sich mir.
"Du hältst mich bestimmt für total bescheuert... aber ich habe mich um
eine Stelle beworben, und sie haben mich genommen."
Ich verstand nicht ganz, was daran so dramatisch sein sollte. "Was für
eine Stelle?" fragte ich.
Sie sah mir in die Augen. "Als Lehrerin am Gymnasium von Beauvoisin."
"Ich wußte gar nicht, daß es in Beauvoisin eine höhere Schule gibt.... "
eine bessere Erwiderung fiel mir in dem Moment nicht ein. "Aber was soll
denn daran blöd sein?"
"Ich wollte Dich fragen..." Sie zögerte erneut. "Ich weiß, daß es dafür
wahrscheinlich zu spät ist, und es gibt sicherlich tausend Gründe, die
dagegen sprechen, aber ... würdest Du mit mir gehen? Ich kann mir nicht
vorstellen, dort ohne Dich zu leben... Du müßtest nicht arbeiten, ich
verdiene genug, Du könntest Bücher schreiben, und wir könnten ein Haus mit
Garten haben und einen Hund..."
"... und Kinder" ergänzte ich.
"Und Kinder" wiederholte sie unsicher. Sie hatte nicht verstanden, daß
meine Bemerkung die Antwort war, an die sie offensichtlich nicht geglaubt
hatte. Aber ich hatte nicht den Bruchteil einer Sekunde gebraucht, um mich
zu entscheiden.
"Ja" sagte ich. "Ich will mit Dir in Beauvoisin leben, in einem Haus mit
Garten, und einem Hund, und mit Kindern. Ich wüßte nicht, was mich
glücklicher machen könnte."
Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, was ich ihr gerade gesagt
hatte. Dann leuchtete ihr Gesicht auf. Sie öffnete den Mund, brachte aber
keinen Ton heraus. Ich beugte mich vor und legte eine Hand auf ihre Wange.
Lisa drehte den Kopf zu Seite und küßte meine Handfläche. Dann strahlte
sie mich an.
"Und ich dachte..."
"Nein, ich mußte nicht einmal darüber nachdenken. Ich liebe Dich und will
mit Dir zusammen sein, alles andere ist da unwichtig... Ich bin Dir so
dankbar, daß Du den Mut aufgebracht hast, mich zu fragen."
"Ich kam mir so töricht dabei vor... kann ich mich auf Deinen Schoß
setzten, oder wäre das zu unschicklich?"
Die Bedienung und einige der anderen Gäste blickten uns mißbilligend an,
als Lisa von ihrem Stuhl aufstand und auf meinen Oberschenkeln platz nahm,
aber das war uns vollkommen gleichgültig. Es fühlte sich so gut an, sie in
meinen Armen zu halten, ihren Körper zu spüren, sie zu küssen, über ihr
Haar zu streichen.
"Wann brechen wir auf?" fragte ich nach einer Weile.
"In vier Wochen... oder geht Dir das zu schnell? Du könntest auch
nachkommen."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das klappt schon."
Und so kündigte ich am folgenden Tag meinen Job und meine Wohnung. Dann
rief ich bei einer Spedition an. Dort sollte unser Hausstand eingelagert
werden, bis wir eine endgültige Bleibe gefunden hatte. Die Dinge, die ich
unbedingt bei mir haben wollte packte ich in Reisetaschen.
*
Die letzte Nacht vor unserer Abreise verbrachte ich bei Emma. Lisa war zu
ihren Eltern gefahren, um sich von ihnen zu verabschieden. Emma und ich
waren in einer merkwürdigen Stimmung. Wir würden uns nicht wiedersehen,
zumindest für lange Zeit nicht. Wir aßen schweigend zu Abend, tranken noch
ein Glas Wein, dann zog sie mich ins Bett. Eine lange Liebesnacht zum
Abschied. Sie kniete sich vor das Bett und schob den Vibrator, den ich ihr
zum Geburtstag geschenkt hatte, in ihre Möse. Ich befeuchtete meinen
Schwanz und drang vorsichtig in ihren Hintereingang ein. Ich umklammerte
ihre Hüften und fickte sie mit langsamen, aber dafür umso intensiveren
Stößen. Mit meinem Schwanz konnte ich den Vibrator fühlen. Als ich die
Kontraktionen ihres nahenden Orgasmus spürte, beschleunigte ich meine
Bewegungen. Wir kamen fast gleichzeitig. Nachdem Emma wieder zu Atem
gekommen war, schaltete sie den Vibrator aus. Ich ließ meinen nur langsam
erschlaffenden Schwanz aus ihrem Arsch gleiten und zog Emma auf das Bett.
Sie drehte sich zur Seite, lächelte mich an und ließ ihre Augen an meinem
Körper entlang wandern. Dann richtete sie sich leicht auf, kraulte mit der
linken Hand gedankenverloren meine Eier und nahm schließlich meinen
Schwanz in den Mund. Geräuschvoll saugte sie an meinem Glied, das langsam
wieder anschwoll. Emma blickte auf und lächelte erneut.
"Ich werde Dich vermissen."
"Vielleicht", erwiderte ich und strich ihr dabei durch die Haare, "aber
ich hoffe nicht. Es reicht, wenn Du von Zeit zu Zeit an mich denkst."
Pünktlich um neun Uhr traf Lisa am nächsten Morgen ein. Ich winkte ihr vom
Fenster aus zu und signalisierte, daß ich herunterkäme. Ich gab Emma einen
Abschiedskuß, ging die Treppe herunter und trat auf die Straße. Die Luft
war mild, die Sonne schien, ein warmer Wind wehte aus südlicher Richtung.
Lisa stand auf der anderen Straßenseite neben dem geparkten Wagen. Ich
ging auf sie zu, umarmte und küßte sie. Dann stiegen wir ein. Lisa setzte
ihre Sonnenbrille auf, drehte den Zündschlüssel, und wir fuhren davon.
Nach Süden, wo unsere Träume uns erwarteten.
14. Epilog
Das alles geschah vor über zwölf Jahren. Im Hier und Jetzt sitze ich auf
der Terrasse unseres Hauses an dem großen Eßtisch aus Buchenholz und tippe
diese Zeilen in meinen Computer, während Lisa im Liegestuhl liegt und ein
Buch liest. Die Kinder spielen unten am Fluß. Christine ist gerade elf
geworden und besucht das Gymnasium, an dem Lisa arbeitet. Natalie wird
nächsten Monat neun, und Paul, der jüngste, ist sieben und geht
mittlerweile auch schon in die zweite Klasse. Alice, unser Border-Collie
bewacht die Kinder, wie sie es gewohnt ist, obwohl das nicht mehr nötig
wäre. Zumindest Christine und Natalie können mittlerweile gut auf sich
selbst aufpassen.
Nach unserer Ankunft in Beauvoisin wohnten wir zunächst bei Marie und
Pierre. Es dauerte dann aber nur wenige Wochen, bis uns dieses Haus
angeboten wurde. Ein altes Bauernhaus aus Naturstein, das ein Ehepaar aus
Paris zum Ferienhaus ausgebaut hatte. Dann aber ließ dieses Paar sich
scheiden, und das Gebäude stand zum Verkauf. Lisa erhielt als
Staatsbeamtin problemlos von der Crédit Agricole ein Darlehen, und das
Anwesen gehörte uns. Es war größer und schöner, als wir zu hoffen gewagt
hatten. Im Erdgeschoß befinden sich eine geräumige Küche, eine Toilette
und das Wohnzimmer, im ersten Stock ein Badezimmer und zwei große
Schlafzimmer. Das Dachgeschoß war zu diesem Zeitpunkt noch nicht
ausgebaut, aber damit ließen wir uns Zeit bis die Kinder kamen. Das Haus
liegt dem Ort gegenüber auf der anderen Seite des Flusses. Der Eingang ist
an der Ostseite, wo ein kleiner Vorgarten an eine wenig befahrene Straße
angrenzt. An der Westseite erstreckt sich eine gepflasterte Terrasse über
die gesamte Länge des Hauses. Hinter der Terrasse liegt der Garten, der
leicht zum Fluß hin abfällt. Der Fluß ist auf unserer Seite von einer
Mauer eingefaßt in die eine Treppe eingelassen ist, so daß wir bei jedem
Wasserstand problemlos schwimmen gehen können.
In den Ort gelangt man über eine alte Römerbrücke, die für den Autoverkehr
gesperrt ist. Uns ist das egal, Beauvoisin ist klein, und auch wenn Lisa
und die Kinder mit dem Rad zur Schule fahren, könnten man den Weg dorthin
ebenso gut zu Fuß zurücklegen. Wenn die vier fort sind, nutze ich die Zeit
um im Haus oder Garten Arbeiten zu erledigen. Wäsche waschen, das Bad oder
die Fenster putzen, Hemden bügeln, was eben anliegt. Manchmal steige ich
aber auch aufs Rad und verschaffe Alice und mir Bewegung. In unserem Alter
ist das wichtiger denn je.
Donnerstag ist Einkaufstag. Ich warte dann immer im Café unter den
römischen Arkaden auf Lisa und die Kinder, trinke einen oder zwei Kaffee,
plaudere ein wenig oder lese die Sportzeitung. Gewöhnlich treffen zunächst
die Kinder ein. Ich bestelle ihnen eine Limonade oder einen Kakao. Lisa
trinkt dann auch noch einen Kaffee, und dann schlendern wir über den
Markt, auf dem es fast alles gibt, was das Herz begehrt: Gemüse und
Früchte, Fleisch und Nudeln, Wein und Pastis, Kräutertee, Kleidung und
Stoffe. Nach dem Marktbesuch gehen wir dann in den Petit Casino und
kaufen, was sonst noch fehlt: Kaffee, Zahnpasta, Toilettenpapier,
Papiertaschentücher. Schließen kaufen wir bei Madame Sophie Zigaretten und
Zeitschriften und holen die Bücher ab, die wir bei ihr bestellt haben.
Dann ziehen wir beladen wie Packesel über "unsere" Brücke nach Hause. Fast
alle Einwohner von Beauvoisin grüßen uns, und oft müssen sie unwillkürlich
lächeln, wenn sie uns so sehen. Irgendwie haben wir es geschafft, keinen
Schaden am Leben zu nehmen.
Immer noch kann ich Lisa endlos lange anschauen. Wenn sie sich über etwas
freut, dann ist sie ihren Töchtern verblüffend ähnlich. Lisa kauft auf dem
Markt gern Stoffe und schneidert den Mädchen Kleider, obwohl wir das nicht
nötig haben. Sie verdient gut, und das Leben ist billig. Im vorigen Jahr
haben wir das Haus abbezahlt, und jetzt verfügen wir für unsere
Verhältnisse über Geld in Hülle und Fülle. Im Mai haben wir uns die
Extravaganz erlaubt, mit den Kindern für ein verlängertes Wochenende von
Montpellier aus nach London zu fliegen, nur um mit ihnen den Zoo, das
British Museum und Kew Gardens zu besuchen. Für Paul war es der erste
Zoobesuch, und er staunte gehörig. Er konnte allerdings nicht verstehen,
warum die Raubvögel in einer Voliere eingesperrt waren, wo es bei uns doch
derart viele von ihnen gab.
"Stimmt es, daß ihr Euch im Zoo kennenlernt habt?" fragte Natalie
irgendwann Lisa und mich. Lisa lachte. "Ja, das stimmt. Bei den Zebras
haben wir uns tief in die Augen geschaut, bei den Elefanten haben wir uns
an der Hand gehalten, und bei den Seelöwen haben wir uns geküßt." So
werden Legenden geboren. Und für unsere Enkelkinder wird dies die einzige
Wirklichkeit sein, die sie kennen.
"Und dann waren wir in der Oper, und da hat Mama auf meinem Schoß
gesessen" ergänzte ich.
Paul hatte gar nicht mehr hingehört und zerrte an meiner Hand. "Wo sind
die Seelöwen? Ich will zu den Seelöwen."
"Es war nicht in diesem Zoo, sondern in einem anderen Zoo in einer anderen
Stadt."
"Fahren wir da auch mal hin?" fragte Paul.
Ich lachte. "Nein, das ist zu weit. Aber in Marseille gibt es auch
Seelöwen, die können wir uns demnächst ansehen. Aber jetzt gehen wir statt
dessen zu den Pinguinen."
Ich denke manchmal darüber nach, was das Geheimnis unserer andauernden
Liebe ist, dieser grenzenlosen Freude, die unser Leben durchzieht. Ich
komme immer zum gleichen Ergebnis: Wir befinden uns seit zwölf Jahren in
den Ferien. Lisa liebt ihre Arbeit, und ich muß nicht arbeiten, keiner von
uns verschwendet seine kostbare Lebenszeit damit, in tristen Büros
sinnlose und geisttötende Arbeiten zu erledigen. Und auch die Schäbigkeit
und Trostlosigkeit der nordwesteuropäischen Städte haben wir hinter uns
gelassen. Wir leben im wahrsten Sinne des Wortes dort, wo andere Menschen
Urlaub machen. Es gibt immer wieder Dinge zu entdecken, das Leben ist
niemals langweilig: Man kann Höhlen erkunden oder nach Fossilien suchen,
auf den Spuren der Römer oder der Neandertaler wandeln, Raubvögel und
Schmetterlinge beobachten, oder einfach nur den Pflanzen im Garten beim
Wachsen zusehen. Und wenn es draußen in Strömen regnet, was selten genug
der Fall ist, dann lesen wir uns Bücher über diese Dinge vor, spielen
Spiele oder denken uns Abenteuergeschichten aus.
Oder wir suchen nach den Spuren der Elefanten Karls des Großen. Im vorigen
Jahr haben wir sie erneut getroffen, dort wo wir sie am wenigsten erwartet
hätten. in den Wäldern direkt über unserem Haus. Der alte Raimond hat sich
nicht verändert, Pierre-Roger hingegen studiert mittlerweile in Paris,
verbringt aber immer noch die Ferien bei seinem Großvater. Unsere Kinder
waren überwältigt von dem Erlebnis, sie durften sogar auf einem Jungtier
reiten.
Die Liebe zwischen Lisa und mir ist ein wenig wie die Begegnung mit diesen
Elefanten. Ein Glücksfall. Und der Wille, dieses Glück zu greifen. Lisa
und ich waren sicherlich nicht von der Schicksalsgöttin füreinander
bestimmt. Ich hätte potentiell mit jeder anderen ebenso glücklich sein
können. Mit Charlotte, mit Emma, mit Steffi... Lisa und ich wurden einfach
nur zur gleichen Zeit an die Gestade Ithakas gespült, nach zehn Jahren vor
Trojas Mauern und zehn Jahren auf See.
Ob wir schließlich auch sexuell zueinander gefunden haben? Ja, das haben
wir. Es war ganz einfach. Aber das ist eine andere Geschichte, die zu
erzählen ich keine Zeit mehr habe. Die Sonne senkt sich, und ich muß das
Abendessen vorbereiten.
Erotische Romanze
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