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Du bist etwas Besonderes

 
   

Er öffnete die Türe, lächelte mich an und trat einen Schritt zurück, damit ich Platz hatte durch den schmalen Wohnungsflur an ihm vorbei ins Wohnzimmer zu gehen. Karsten schloss die Türe und kam hinterher. Ich drehte mich um und setzte erstmal wegen meiner Unsicherheit ein charmantes Lächeln auf. Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich hielt ihn einen Augenblick und genoss das Gefühl gedrückt zu werden.

"Gib' mir deine Jacke, ich hänge sie auf."

Ich zog sie aus und gab sie ihm. Er ging mit ihr hinaus und hängte sie hinter der halboffenen Wohnzimmertür auf einen Bügel an den Kleiderhaken. Ich hatte Zeit mich ein wenig umzusehen und betrachtete seine Wohnung mit einem flüchtigen Blick. Ja, hier wohnte Karsten. So hatte ich es mir vorgestellt. Alte, schwere Möbel mit eleganten Verzierungen standen spärlich, aber gut platziert an Wänden. Ein altes Sofa und ein dazugehöriger Ohrensessel standen an der Fensterseite zum Balkon, die mit Pflanzen üppig vollgestellt war. Die Bilder an den Wänden waren Gesichter, Kunstdrucke oder vergrößerte Fotografien. Sie waren farblich mit Rahmen und Passepartout abgestimmt und gaben dem Raum eine Atmosphäre von Gemütlichkeit und gleichzeitig auch einen Hauch von Exklusivität.

"Setz' dich doch! Ich habe einen Tee aufgebrüht. Möchtest du auch einen?"

"Ja, danke. Ich setze mich in den Ohrensessel, der sieht ja urgemütlich aus."

Er nickte grinsend: "Ja, das ist er auch."

Dann verschwand er in die Küche und ich hörte ihn hantieren. Ich machte es mir bequem und steckte mir eine Zigarette an. Lässig mit einem Bein übergeschlagen saß ich in dem riesigen Sessel, wie Lehrer Lempel mit seiner Pfeife. Er kam herein und stellte ein hübsches Porzellanservice auf den Tisch, goß Tee ein und setzte sich auf das Sofa.

"Milch? Zucker?"

Ich lehnte dankend ab.

"Tee trinke ich immer pur. Kaffee kann ich nicht ohne Milch und Zucker ertragen."

"Bist du denn eher Teetrinker?"

"Nein, ich trinke selten Tee, aber manchmal tut eine Tasse ganz gut. Ich finde ihn gemütlicher, als Kaffee."

Er stimmte mir zu: "Ja, da hast du Recht. Außerdem könnte ich so spät keinen Kaffee mehr trinken, denn dann würde ich nicht schlafen können."

Ich winkte ab: "Och, damit habe ich kaum Probleme. Schlafen kann ich fast immer, egal wieviel Kaffee ich getrunken habe."

Das Gespräch verebbte. Eine peinliche Pause trat ein. Ich nutzte die Zeit um mir meine Teetasse zu nehmen und ein wenig mit dem Löffel darin herumzurühren. Ich blies vorsichtig die aromatischen Nebelschwaden vom Tee und nahm einen kleinen Schluck. Dann stellte ich die Tasse wieder ab und nahm meine Zigarette wieder aus dem Aschenbecher. Ich sah ihn an. Unsere Blicke trafen sich und es war, als erzähle er innerhalb von Sekunden eine Geschichte. Sein Blick fragte mich, warum ich gekommen sei und ich verschloss mein Gesicht, denn wenn ich so gut aus seinen Augen lesen konnte, dann konnte er es bestimmt auch. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel und dann sah er weg.

"Schneit es draußen noch?"

"Nein, es hat aufgehört. Man kann eigentlich jetzt wieder gut fahren. Die Scheedecke ist frisch und fest. Man sollte nur nicht so schnell um die Kurven fahren. Aber du glaubst nicht, wieviele Unfälle ich auf dem Weg zu dir gesehen habe."

"Wirklich? Die Leute fahren einfach nicht vorsichtig genug."

"Ja, die fahren nicht angepasst."

Das Gespräch drohte wieder zu verebben. Ich schob schnell nach: "Und wie geht es dir so? Wir haben uns nun eine Woche nicht mehr gesehen oder gehört."

"Hmmm, ja, ich habe viel zu tun gehabt. du Weißt doch, das ich ständig unterwegs bin und kaum Zeit habe."

"Ja richtig, so geht es mir ja auch. Warst du denn mal aus seit letzter Woche?"

"Ja, aber nur kurz und das war nicht besonders toll. Ich war mit meiner Freundin in Café Stern und..."

"Mit Doris?"

"Ja, wieso? Kennst du sie?"

Er schlug sich vor den Kopf: "Ach ja, wir sind uns ja letztens begegnet."

"Ja, richtig nett ist sie. Hat sie denn immer noch soviel Stress mit Ihrer Freundin?"

"Hör' bloß auf", grinst er, "was ich mir da wieder anhören durfte. Karin hier, Karin da und immer Stress. Aber immer so Lappalien. Wer trägt den Müll raus, wer kocht, wer wäscht. Die haben anscheinend den ganzen lieben langen Tag nichts besseres zu tun, als ihr Leben in Frage zu stellen. Hoffentlich passiert mir das nicht auch noch."

Ich grinste zurück: "Bestell' ihr mal viele Grüße von mir... Aber vielleicht erinnert sie sich ja auch nicht mehr an mich."

"Doch, wir haben noch letztens über dich gesprochen."

Ich setzte mich auf und nahm die Teetasse wieder in die Hand. Nun brauchte ich etwas, um mich festzuhalten. Aber zuerst drückte ich meine Zigarette aus.

"Was habt ihr denn so über mich gesprochen?"

"Nur Gutes, Karl, nur Gutes!"

"Wer soll dir das glauben?"

Ich lächelte ihn wieder an und diesmal hielt ich seinem Blick stand. Wieder dieses fragende Flackern und ein Gedanke, den ich nicht entschlüsseln konnte. Ich lächelte einfach nur und dann blinzelte ich, wie aus Versehen, mit beide Augen und zog meine Mundwinkel noch höher.

"Karl, wenn du mich so durchdringend ansiehst, dann kann ich nicht lügen."

Er war kurzzeitig richtig verlegen. Ich wurde wieder ernst.

"Du, das ist mir egal, ob ihr über mich gelästert habt oder nicht."

"Wir haben nicht gelästert, sondern nur über deine Situation gesprochen."

"Und?"

"Nichts und! Wir fanden es lediglich sehr toll von dir, dass du so offen bist und so...", er suchte nach Worten, "... so nett, eben."

"Danke! Ich finde Euch ja auch nett, sonst wäre ich bestimmt nicht so aufdringlich."

"Du bist doch nicht aufdringlich!"

Er nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse und verlor mich dabei nicht aus den Augen.

"Doch, so komme ich mir manchmal vor. Ich dringe einfach so in dein Leben ein und ...."

"Papperlapapp!"

Er beschwichtigte: "Du bist nicht aufdringlich. Ich finde dich halt nett und so Menschen trifft man selten."

"Ach wirklich?"

Ich fühlte mich geschmeichelt und griff nach meiner Zigarettenpackung.

"Darf ich dir eine anbieten?"

"Nein danke, die sind mir zu stark."

Er stand auf, ging zu einem Sekretär und öffnete eine der zahlreichen, mit Einlegearbeiten verzierten Schubladen. Er nahm eine Packung R 6 raus und hielt sie hoch.

"Das ist das Kraut, was ich bevorzuge, aber am Liebsten rauche ich noch Menthol."

"Igitt! Da kann ich auch Hustenbonbons rauchen."

Er schloss die Schublade wieder und öffnete die neue Packung.

"Och, das hat auch Vorteile. Kaum einer neppt bei mir. Soll ich Musik machen?"

"Ja, warum nicht?"

"Was denn?"

"Ist mir egal. Wenn es nicht gerade Jazz ist..."

Er ging zu seiner Anlage, kramte in der CD Sammlung und hielt mir eine CD hin: Kuschelrock, die Neue. Ich nickte und er legte sie ein. Dann nahm er wieder Platz, stand sofort wieder auf und ging in die Küche. Er kam mit einem Teller voller Gebäck wieder und stellte ihn noch auf den Tisch.

"Die habe ich vergessen."

Er griff zu einem Keks und fing an daran zu knabbern. Das Gespräch verlief wieder im Sande. Nun hatte ich auch keine Lust mehr das Gespräch schon wieder anzukurbeln und so hielt ich mich erstmal bedeckt und sah mich um.

Er beobachtete mich und folgte meinen Blicken.

"Ist schon seltsam..."

Ich wachte aus meinen Träumen auf und schaute ihn an: "Was? Was ist seltsam?"

"Na, dass du nun da bist. Ich weiß ehrlich nicht genau, wie das alles kam. Und...", er schaute mich prüfend an, "...ich kann mir immer noch nicht denken, warum du denn ein Treffen wolltest."

Mein Herz begann zu klopfen. Ich drückte meine Zigarette aus und gewann so Zeit. Mein Kopf war leer und ich dachte einfach gar nichts. Nur Zeit gewinnen.

"Ja, ich habe dich um dieses Treffen gebeten. Unter vier Augen."

"Gut, aber warum denn unter vier Augen?"

"Weil wir uns sonst niemals irgendwann mal alleine gesehen hätten. Ich wollte dir was erzählen und da ist es besser, wenn ich das unter vier Augen mache."

Er setzte sich zurück und schlug auch ein Bein über.

"Jetzt machst du mich aber neugierig. Was ist denn so Wichtiges passiert, dass du mir extra unter vier Augen sagen mußt?"

Er bemerkte, dass ich verlegen wurde. Ich merkte, wie meine Hände zitterten. Nervös spielte ich mit meinem Schnurrbart.

"Es ist gar nicht so einfach, weil das, was ich dir sagen wollte sehr privat ist."

Ich überlegte. Was machte ich hier eigentlich? War ich wahnsinnig? Warum tat ich mir das denn an? Ich hätte doch alles so laufen lassen können und bei dem belassen können, was bis jetzt war. Aber ich hatte die Sache angefangen und so mußte ich sie auch zu Ende führen. Mein Herz klopfte noch stärker und ich räusperte mich. Er lehnte sich nach vorne und sah mir tief in die Augen.

"Du musst nichts sagen, wenn du nicht kannst. Ich weiß zwar nicht, was du mir erzählen willst, aber wenn es so ein Problem für dich ist, dann beruhige dich doch erstmal."

"Nein, jetzt hast du davon angefangen und ich kann nun nicht mehr zurück. Wenn ich nun gehen würde, dann bliebe das immer im Raum stehen und mit der Zeit würde eine riesige Luftblase daraus. Das will ich nicht. du sollst wissen..."

Ich stockte und er hakte ein: "...Ja?"

"Du sollst wissen..."

Ich stockte wieder, aber diesmal sagte er nichts. Ich holte Luft und begann von vorne: "Ich fange einfach mal von Anfang an. Wir sind uns ja mehr oder wenig per Zufall über den Weg gelaufen. Ich erinnere mich an den Abend in der Kneipe noch, als wäre es erst gestern gewesen."

Er lächelte verträumt: "Ja, du warst echt der lauteste und schrillste Typ in der Kneipe und irgendwie hast du dich immer in unser Gespräch gedrängt."

Ich lachte: "Ja, genau. Dabei wollte ich das nicht. Nur wart ihr am Nebentisch die einzigen Gäste, die sich das gefallen ließen."

"Kein Wunder. Was hätten wir tun sollen? du warst leicht angetrunken und wir hatten Langeweile."

"Naja, ich habe mich ganz nett danebenbenommen, was eigentlich nicht meine Art ist. Und als ich Euch auch noch auf einen Kaffee einlud, da habe ich nicht gedacht, dass ihr kommen würdet."

"Ich habe mir das auch reiflich überlegt. Günter war echt angetan von Dir und ich fand dich auch recht nett. Sowas erwarteten wir einfach nicht, aber darum waren wir ja in der Kneipe: Um nette Leute kennenzulernen."

"Und als dann der Treff bei mir zu Hause am nächsten Tag kam, da war ich ganz froh, dass ihr doch kamt, denn ich hatte nicht im Ernst damit gerechnet. Ich muss dir ziemlich aufdringlich vorgekommen sein in der letzten Zeit. Ich habe ja nicht locker gelassen. Bis du dann in Urlaub warst. Als du dann wieder da warst, da musste ich mich einfach für die nette Karte bedanken."

"Gerne geschehen."

"Und da habe ich beschlossen, dass ich mit dir reden muss. Weißt du, dass ich Nächte lang wach gelegen habe, bevor ich den Entschluss fasste mit dir zu reden?"

"Du machst mich nun aber wirklich neugierig. Ich kriege ja schon ein wenig Angst vor dem, was jetzt kommen mag."

"Hast du eine Ahnung! Kannst du dir vorstellen, was für eine Angst ich im Moment habe? Aber lassen wir das. Da muss ich nun durch."

"Stop! Bevor du nun weiterredest... Ich wollte dir nochmals sagen, dass alles bei mir gut aufgehoben ist. du brauchst dir keine Sorgen zu machen und..."

"Nein, so etwas will ich dir nun nicht sagen. Verdammt es ist so einfach und doch so unglaublich schwer."

"Was ist denn daran so schwer?"

"Die Folgen, die es haben könnte..."

"Was für Folgen?"

"Na z. B. ...", ich schaute meine Schuhe an, "...dass du mich dann ganz anders siehst, als jetzt und das möchte ich nicht."

Er wirkte verständnislos. Unsere Blicke trafen sich wieder und ich sah den besorgten Ausdruck in seinem Gesicht.

"Meinst du, ich sollte mal raten? Macht es dir das leichter?"

"Nein! Lass bitte diese Spielchen. Wir sind erwachsene Menschen und so will ich dir das ins Gesicht sagen."

"Ist es was Schlimmes?"

"Du fängst ja trotzdem an zu raten. Hör auf, du bringst mich aus dem Konzept... aber schlimm ist es nicht...", ich stockte und fuhr leiser fort, "...oder vielleicht doch...."

Er sprang auf und ging zum Wohnzimmerschrank.

"Jetzt brauche ich einen Cognac. Bekommst du auch einen?"

"Ja, aber einen kleinen, bitte."

Er goß die bräunliche Flüssigkeit in zwei Schwenker und stellte mir einen davon hin. Dann setzte er sich wieder. Ich ergriff das Glas und wärmte es mit meiner Hand. Der Geruch drang mir wohlig warm in die Nase und es lenkte mich in der Tat ein wenig ab.

"Nun los, lass dich nicht hängen. Ich muss dir nochmals sagen, dass Du mir alles sagen kannst. Ich werde es nicht falsch verstehen! Habe doch einfach den Mut dich mir anzuvertrauen."

Ich schwenkte das Glas noch ein wenig und führte es dann zum Mund. Mit einem leichten Nippen nahm ich einen Schluck und fühlte die wärmende Flüssigkeit meine Speiseröhre herunterfließen. Der Alkohol verteilte sich in meinem Magen und hinterließ ein angenehmes Gefühl im Mund.

"OK! Es hat auch mit dir zu tun."

Ich sah ihn nicht dabei an, als ich das sagte. Erst sagte er nichts und dann machte er eine bedächtige Kopfbewegung und sagte langsam: "Aha, mit mir auch..."

"Ja, und genau das ist das Problem. Es ist nicht nur eine Sache, die mich betrifft, sondern auch dich. Und genau deshalb habe ich ja die Angst, dass alles anders wird."

"Und wenn ich dir nun verspreche, dass ich nicht anders sein werde?"

Ich zögerte. Er hatte wirklich keine Ahnung von dem, was ich sagen wollte, denn sonst...

"Das kannst du nicht."

"Wieso? Ist das..."

Ich schnellte aus dem Sessel, weil ich ein paar Schritte gehen musste. Er unterbrach seinen Satz und schaute mich verwundert an. Mit dem Glas in der Hand wanderte ich auf und ab. Er folgte mir mit seinem Blick.

"Ich habe mich verliebt!"

Nun war es raus. Ich hielt die Luft an und ich bemerkte, dass sein Atem auch stockte. Er schluckte und nippte dann an seinem Glas. Ich schaute ihn nicht an, denn nun ...

"..in mich?"

Es kam so zögerlich, dass mir die Knie weich wurden. Ich hauchte ein "ja" und setzte mich wieder hin.

"Aber wieso...?"

"Wieso ich mich verliebt habe?"

Mein Redefluss war nun nicht mehr zu unterbrechen und er versuchte es gar nicht erst.

"Du bist etwas Besonderes. du bist charmant, lieb, intelligent und du siehst verdammt gut aus. dein Lächeln ist so schön und wenn du mich ansiehst, dann könnte ich heulen vor Glück. Das Glänzen in deinen Haaren, dein Gang, deine Bewegungen, wenn du verlegen bist und dein Geschmack...", ich zeigte auf seine Möbel, "...all das sagt mir was und all das sagt mir, dass ich mich Hals über Kopf, direkt beim ersten Mal, als wir uns sahen, ich mich in dich verliebt habe. Sowas ist mir noch nie passiert und ich habe gar nicht daran geglaubt, dass mir das passieren könnte. Den ganzen Tag muss ich an dich denken. Ich höre deine Stimme am Telefon und bin ganz fasziniert von ihr." Ich stockte. "So ist es einfach und nun weißt du es. Ich hoffe, dass das nichts ändern wird und ich...", ich rang mit meiner Fassung, "...und ich hoffe, dass du mich nun nicht ablehnen wirst, weil ich dir meine Liebe gestanden habe. Ich wollte einfach ehrlich zu dir sein. Ich wollte nicht immer nur dieses Geheimnis, dass immer schwerer wog, alleine mit mir herumtragen."

Ich sah ihn flehend an. "Und bitte... bitte, du musst nichts darauf sagen. Ich wollte nur, dass du es weißt. Ich will dich nicht in Zugzwang bringen. Weißt du wie oft ich diese Situation schon in Gedanken durchgespielt habe und mit sämtlichen Varianten? Ich bin halb wahnsinnig geworden dabei. Ich fragte mich, was du tun würdest und was du anschließend sagen würdest. Ich war mir sicher, dass ich alles ertragen könnte. Es war einfach egal, was du tun oder sagen würdest. Egal, ob du mich nun vor die Türe setzt oder ob du mich umarmst und mir ebenfalls deine Liebe gestehst. Es ist egal. Und ich möchte auch nicht, dass du nun eine Erklärung abgibst. Nein, das wäre zu unfair von mir. Seit Wochen trage ich mich mit den Gefühlen und habe mich daran gewöhnt. Ich kann Nachts schon nicht mehr schlafen. Ich überlege immer wieder, was du gerade machst und, oh Karsten, ich habe mir auch überlegt, ob du gerade mit anderen Männern zusammen bist und ich habe mir ehrlich überlegt, ob das für mich ertragbar ist. Ja, das ist es. Es geht nur um dich. Was für dich das Beste ist. Und wenn es das ist, dass du mich nun rausschmeisst, dann tue es und gut ist es. Ich bin von der Last befreit und ich ... wünsche mir so, dass du ... Ach, ich weiß gar nicht, was ich mir wünsche. Ich musste das einfach nur loswerden."

Langsam sank ich in meinem Ohrensessel zusammen und trank den Cognac mit einem Zug leer. Eine schwere Stille lastete auf dem Raum. Nur die leise Musik der CD, ausgerechnet Kuschelrock, war zu hören. Ich wagte es nicht aufzusehen. Mit feuchten Augen stand ich auf und stellte mein Glas ab. Ich sah ihm ins Gesicht. Ich verhärtete innerlich. Sein Gesichtsausdruck war einfach erstaunt. Er hatte tatsächlich nichts gewusst. Ich sah ihn nochmals an und rang um meine freie Stimme. Seine braunen Augen schauten mich erwartungsvoll an; so offen, so verständnisvoll, so unerwartet liebevoll. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. Ich tat den letzten Schritt: "Bitte sag' jetzt nichts. Ich werde gehen. Ich danke Dir, dass du mir so aufmerksam zugehört hast. Bleibe sitzen, ich finde alleine nach draußen."

Ich drehte mich um, aber nicht ohne einen verständnislosen Blick aufzufangen, der mir in der Seele weh tat. Ich wusste was ich tat. Ich wollte die Wahrheit nicht erfahren. Ich war befreit, das war die Hauptsache. Ich drehte mich noch einmal kurz um. Er hatte sich nicht bewegt. Er saß mit großen Augen und fast wie erstarrt auf der Couch. Sein Haar umspielte sein fein geschnittenes Gesicht und sein Mund war leicht geöffnet. Er sagte aber nichts.

"Lebewohl! Ich danke dir. Es mag zwar sehr dramatisch sein, was ich hier mache, aber wenn du nun darüber nachdenkst, dann wirst du mich vielleicht verstehen. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht irgendwann. Ich fahre nach Hause."

Dann ging ich wieder durch den engen Wohnungsflur, nahm meine Jacke und schloss die Wohnungstür von außen. Ich ging schnellen Schrittes den Flur hinab nach draußen zu meinem Auto. Gelassen und wie betäubt fuhr ich nach Hause. Dort zog ich meine Jacke aus und machte den Fernseher an. Der Anrufbeantworter blinkte. Ich saß wie versteinert da und wusste, dass es begonnen hatte - das lange Warten.

Ich wachte auf als das Telefon klingelte und rappelte mich mühsam vom Sofa auf, um das schnurlose Telefon auf dem Sofatisch zu greifen. Ich war noch ganz benommen, als ich ein "Hallo" in den Hörer murmelte. Ich setzte mich in eine aufrechte Position, ließ aber die Augen geschlossen. Ein zaghaftes "Hi..." kam von der anderen Seite.

"Wer...?"

Ich hatte einen trockenen Mund und das Gefühl betäubt zu sein. Mein Kreislauf spielte verrückt.

"Ich bin es,...Karsten. Was ist mit dir los?"

Ich schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen und auch weil ich zu dieser Minute und dieser Stunde wirklich nicht damit gerechnet hatte, dass er sich melden würde. Ich atmete tief durch und versuchte mich zu beherrschen. Ich spürte, wie mir plötzlich bei der Erwähnung des Namens Karsten das Herz bis in den Hals schlug.

"Ach, hallo! Ich bin auf dem Sofa etwas eingeduselt. Sorry, dass ich nicht sofort geschaltet habe. Moment, ich muss einfach mal klar im Kopf werden."

Ich war überzeugt davon, dass man das schnelle Klopfen meines Herzens in meiner Stimme hören konnte.

"Soll ich in ein paar Minuten noch einmal anrufen?"

"Nein, nein..", ich versuchte mich zusammenzureißen, reckte und streckte mich heftig, "..ich werde schon wach."

Ich seufzte und atmete einmal tief durch.

"So, nun ist es besser."

"Rufe ich irgendwie ungünstig an? Ich meine, hast du schon im Bett gelegen?"

Ich schaute auf die Uhr. 11.03 Uhr. "Nein, ich bin bei diesem 'interessanten' Fernsehprogramm eingeschlafen, weil ich heute wie erschlagen war. Aber jetzt bin ich wieder klar. ... Ich freu' mich, dass du anrufst. Ich hatte, wenn ich ehrlich bin, nicht so schnell damit gerechnet."

"Ja, ich ..."

Ich fiel ihm ins Wort: "...Und ich finde es mutig von dir, dass du dich meldest."

"Das ist ja wohl das Mindeste, oder?"

"Naja", ich goß mir einen Schluck Wasser in mein Glas aus der Flasche, die auf dem Tisch stand, "nach meinen Aufführungen vor vier Tagen bei dir, da habe ich überlegt, ob du dich überhaupt noch einmal meldest."

Ich nahm einen großen Schluck.

"Wir müssen reden."

War da eine gewissen Härte in seiner Stimme zu hören? Ich überlegte fieberhaft, was ich nun sagen sollte.

"Sicher müssen wir reden. Aber willst du überhaupt reden?"

Ein überzeugtes "Ja" drang durch den Hörer in mein Ohr und löste eine Euphorie aus. Trotzdem versuchte ich meine Ruhe zu bewahren.

"Gut, ...gerne. Wie hast du dir das vorgestellt?"

"Nach der Eröffnung, die du mir gemacht hast, finde ich es einfach nur fair, wenn wir uns einmal intensiver unterhalten. Hast du morgen Abend Zeit?"

Ich versuchte den Unterton zu deuten, der in seiner Stimme mitschwang. War es Angst, war es Entschlossenheit, die mich stutzen ließ? Krampfhaft versuchte ich eine Entscheidung aus seinen Worten zu lesen, aber ich konnte es nicht. Seine Stimme war gezwungen neutral. Aber was hatte ich erwartet? Hatte ich wirklich erwartet, dass er mich euphorisch anrief und mir ins Ohr sang, dass er mich liebt? Klang das nicht eher nun so, als wollte er mir möglichst schonend beibringen, dass ich zwar nett sein, aber dass von seiner Seite nicht mehr zu erwarten sei, als vielleicht Freundschaft?

Er begann wieder: "Weißt du, ich habe noch nie von irgend jemand so wunderschöne Worte gehört. du warst so offen, so ehrlich zu mir und das bewundere ich sehr. deine Wortwahl und deine Art mir zu sagen...", er stockte, "... mir das zu sagen, das war einmalig."

Mein Herz schlug ein paar Schläge schneller. Es war angekommen. Er hatte meine Gefühle verstanden. Konnte er sie denn auch akzeptieren? Brachte er mir die gleichen Gefühle entgegen oder hatte er zumindest festgestellt, dass bei ihm etwas war, was ausbaufähig war? Ich wusste es nicht und ich wollte es auch nicht am Telefon erfahren. Wollte ich es überhaupt wissen? Eigentlich hatte ich doch mit einer negativen Reaktion gerechnet. Wenn sie nun kam, dann war es auch gut.

"Ach Karsten, ich konnte nicht anders. Ich will zu dir ehrlich sein und mich nicht immer verstellen müssen. Was habe ich denn zu verlieren? Was hatte ich damals zu verlieren?"

Ich beantwortete mir selber im Stillen die Frage: 'Seine Liebe!'

Er ging nicht darauf ein und lenkte plötzlich vom Thema ab: "Das ist okay, kommst du also morgen vorbei?"

"Ja, gerne. Ich freue mich darauf. Ich freue mich sogar sehr darauf Dich wiederzusehen."

Was machte ich denn nun? Wollte ich ihn doch zu einer Reaktion verleiten? Wenigstens wollte ich eine kleine Vorentscheidung haben. Den ganzen lieben langen Tag sah ich mich schon wie ein aufgescheuchtes Huhn oder wie eine Operndiva vor der Premiere herumlaufen und die Frage nicht aus den Kopf bekommend, was er mir sagen würde. Wenn ich doch nur seinen Unterton deuten könnte, dann hätte ich einen Tag Zeit mich darauf vorzubereiten. Ich ertappte mich dabei, wie sich in meinem Kopf eine Szene abspielte. Wir lagen uns in den Armen und hielten uns. Wir tanzten vor Freude, dass wir uns gefunden hatten in seinem Wohnzimmer herum und küssten uns leidenschaftlich. Wie eine Seifenblase zerplatzte dieses Bild und wurde durch ein anderes ersetzt. Ich saß auf dem Sofa und kämpfte mit den Tränen. Er hielt mich im Arm und sagte entschuldigend in meine Ohr: 'Aber ich kann doch nicht über meinen Schatten springen...". Was davon würde Wirklichkeit? Ich war auf Beides gefasst und war zu Beidem bereit. Ich musste da durch, ich wollte es so. Ich musste irgendwann Frieden haben. "Ich freue mich auch dich zu sehen, denn ich weiß immer noch nicht, wie.... Es kam einfach überraschend. Weißt du, ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass du mir gestehst, dass...", er stockte wieder,

"So etwas hat mir noch niemand gesagt. Jedenfalls nicht so offen und voller Gefühl."

"Es war einfach nötig. Ich will nicht mit dir spielen..."

Er fiel mir ins Wort: "...Ich mit dir auch nicht..."

Ich setzte fort: "Danke! ...Ich will nicht mit dir spielen. Nur mit Ehrlichkeit kommt man weiter. Außerdem wollte ich die Sache..."

Ich stoppte. '..vom Tisch haben..' wollte ich sagen, aber das fand ich nicht angebracht. Anstatt dessen verbesserte ich mich: "Ich wollte, dass du es weißt."

"Ich habe das verstanden. Ich weiß doch, dass wenn man nicht auf Menschen zugeht, man nie jemanden finden wird. Ohne Reaktion keine Gegenreaktion."

"Eben. Und das habe ich mir dabei gedacht. So habe ich den Mut aufgebracht dich mir zu offenbaren."

Ich war auf einmal so glücklich. Ich hätte schreien können vor Glück, denn er hatte mich verstanden. War es nun nicht egal, wie er reagierte? Er hatte meine Gefühle verstanden und akzeptiert! Völlig zusammenhanglos sagte ich: "Ich bin so froh deine Stimme zu hören."

Er schwieg.

"Oh, habe ich dich nun wieder verlegen gemacht? Das wollte ich nicht!"

"Ach, das macht nichts. du bist so..."

"Ja?"

"...so gefühlvoll und das mag ich."

"Ja, das bin ich. Und ich mag dich auch."

Das war keine leere Floskel und das wusste er. Er antwortete darauf aber nicht. Statt dessen fragte er etwas nüchterner: "Wann hast du denn Zeit morgen Abend?"

"Wenn du Zeit hast."

"Sagen wir so gegen Viertel vor Neun?"

"Hm, musst du übermorgen nicht arbeiten?"

"Ja, muss ich. Meinst du, das wäre zu spät? Ich komme gegen 18.45 Uhr von der Arbeit. Dann muss ich noch duschen, was zu essen machen und mich ein wenig akklimatisieren."

"Wenn du willst? Ok..."

Er überlegte einen Augenblick. Dann kam spontan: "Oder willst du zum Essen kommen?"

Ich war erfreut. Das hatte ich nicht erwartet. Eine Sekunde lang überlegte ich. Warum sollte ich es ausschlagen, wenn er mir das anbot? "Ja gerne, das wäre unheimlich nett von dir. Wenn es dir nicht zuviel Mühe macht? Aber um Eines bitte ich dich: Lass das gute Silberbesteck in der Schublade und übertreibe es nicht. Nicht, dass Du nun auch noch auf die Idee kommst die Fenster zu putzen oder so ein Quatsch. Letztes Mal hast du dich auch 100 Mal entschuldigt, dass es bei dir so grauenhaft unordentlich ist. Bei mir sieht es auch nicht besser aus. Haben wir uns verstanden?"

Ich wollte ihm damit sagen, dass er sich um Himmels willen nicht beide Beine ausreißen sollte, damit er ein möglichst positives Bild hinterließ. Ich wusste, dass er das trotzdem tun würde, aber ich wollte es ihm einfach sagen.

Er lachte: "Ja okay, ich werde mir Mühe geben."

Ich lachte: "Genau das sollst du ja eben nicht! Was wolltest du denn kochen?"

"Ehrlich gesagt: Keine Ahnung!"

"Ach, mach dir keine Gedanken. Ich bin genügsam. Erasco deckt den Tisch. Mach einfach ein Büchse auf, wenn es nicht anders geht. Ich will nicht, dass du in Stress verfällst."

Er lachte herzlich: "Na gut, dann gibt es Serbische Bohnensuppe, die Gute, von Aldi."

"Igitt! Das wässrige Zeug! Ich bestehe auf Erasco!"

Das Eis war gebrochen. Wieder ernst sagte er: "Ich denke, dass ich ein wenig Nudeln mit Kalbsgulasch mache. Ist das gut?"

"Na klar! Ich werde dann den ganzen Tag nichts essen, damit ich auch tüchtig Hunger habe, wenn ich zu dir komme. Soll ich eine Flasche Wein mitbringen?"

"Ja, das wäre nicht schlecht! Ich selber habe nicht mehr so viel da. Ehrlich gesagt habe ich nur noch eine halbe Flasche hier."

Aha, er hatte ich eine halbe Flasche Wein getrunken, bevor er den Mut besessen hatte mich anzurufen. Ich musste innerlich lachen. Wie gut ich ihn schon kannte. Da hatte ich schon echt einen Vorteil, denn ich vermutete mal, dass er mich nicht so gut einschätzen konnte.

"Ok, dann bedanke ich mich nun recht herzlich für deinen Anruf. Du hast mir nun wieder ein unruhige Nacht beschert."

"Ich danke dir. Schlaf' trotzdem gut!"

"Du auch, bis morgen", sagte ich zärtlich in mein Telefon und legte auf. Einen Augenblick saß ich da wie vor den Kopf geschlagen. Dann sprang ich auf und warf das Telefon auf das Sofapolster. Ich war außer mir vor Freude. Er hatte sich gemeldet.

"Jaaahh!", rief ich erleichtert. Ich tanzte ein wenig herum und kam mir dann lächerlich vor. Dann machte ich das Licht aus und ging ins Schlafzimmer. Ich zog mich aus und legte mich in mein kaltes Bett. Was würde sein, wenn er mir doch sagen würde... Ich schob diesen Gedanken weg und schlief zufrieden ein. Einer meiner letzten Gedanken war noch: 'Endlich hat das lange Warten ein Ende...' Aber welches Ende würde es haben? Morgen würde ich es erfahren. Dann schlief ich endgültig ein.

Wieder einmal stand ich vor seiner Haustüre und zögerte. Wenn ich diesen Klingelknopf jetzt drücken würde, dann würde unweigerlich eine Lawine von Geschehnissen in Gang gesetzt. Wollte ich das? Ich klingelte. Ein paar Sekunde später hörte ich durch die Sprechanlage ein Krächzen.

"Hallo? Ich bins..."

Karsten drückte auf. Schnell stob ich die Treppen hinauf und stand vor der angelehnten Türe. Ich drückte sie leicht auf und schon bemerkte ich den Geruch von gebratenem Fleisch. Ich klopfte an die Tür und trat ein. Er schaute aus der Küche und lächelte.

"Moment noch, ich rühre das mal eben um, sonst setzt es an."

Ich zog meine Jacke aus und hing sie an den Haken. Zögernd stand ich mit meiner Flasche Wein auf dem Flur und ging langsam in Richtung Küche.

"Hi! Ich habe eine Flasche Wein mitgebracht. Ich dachte, das würde passen."

"Oh schön! Sicher passt das. Ich habe uns ein wenig Rindfleisch mit Gemüse gebraten und dazu gibt es grüne Nudeln."

"Riecht aber gut."

"Ich hoffe das magst du?"

"Ja sicher!"

"So, nun stelle ich das noch ein paar Minuten auf kleine Flamme und dann sind auch schon die Nudeln gar."

Er trat aus der Küche und stand zögerlich vor mir. Wollte er mich umarmen? Er machte einen Schritt auf mich zu, nahm mir die Flasche ab und trat näher. Ich breitete die Arme aus und er trat mir unsicher entgegen. Wir schlossen uns kurz in die Arme und drückten uns. Es war ihm irgendwie unangenehm.

"Schön, dass du gekommen bist. du siehst irgendwie verstört aus."

"Haha, ich fühle mich auch total verkrampft."

"Meinst du mir geht es besser?"

Er grinste unsicher. Dann bat er mich ins Wohnzimmer und ich nahm wieder in dem großen Sessel Platz, auf dem ich vor einiger Zeit schon einmal gesessen habe.

"Sollte wir nicht versuchen ein wenig lockerer miteinander umzugehen?"

Ich war erfreut, denn genau das hatte ich auch gerade gedacht.

"Ok, ich schlage vor, dass wir einfach mal die Mauern senken und uns völlig unvoreingenommen entgegentreten. Warum sollten wir es uns schwieriger machen, als es nötig wäre?"

Er schien erleichtert.

"Ich muss mal kurz in die Küche. Die Nudeln müssten fertig sein. du kannst ja schon mal den Tisch abräumen. Ich bringe alles herüber."

Er sauste hinaus und kam wenige Minuten später mit einem voll bepackten großen Tablett wieder. Sorgsam stellte er die Teller und die Schüsseln ab. Ich rückte an den Tisch und sortierte das Geschirr und das Besteck. Er setzte sich ebenfalls.

"Soll ich die Flasche öffnen?"

Er brachte einen Öffner und ich hantierte daran herum.

"Ach, ich bin immer noch so nervös. Ich habe es aber gleich geschafft."

Mit einem leisen Plopp bekam ich den Korken heraus. Er stellte zwei Gläser auf den Tisch und ich goß ein.

"Na, dann erhebe ich das Glas auf dieses Essen."

Ich griff nach meinem Glas und erhob es ebenfalls.

"Ja und darauf, dass wir ein wenig entkrampfen. Prost!"

"Hmm, der ist aber gut. Ich hoffe, dass du noch fahren muss, denn dann kann ich nämlich mehr trinken."

Ich grinste: "Da hast du Glück, denn ich muss wirklich noch fahren. Zum Wohl!"

Wir bedienten uns mit dem Essen und wünschten uns guten Appetit. Es schmeckte vorzüglich, obwohl ich befürchtet hatte, dass ich wegen der Aufregung keinen Bissen runter bekäme. Während des Essens unterhielten wir uns über belanglose Dinge. Die Zeit flog dahin und die Spannung baute sich ab. Schließlich waren wir fertig und er räumte die Teller und die Schüsseln wieder in die Küche. Er goß mir noch einmal Wein nach.

"He, ich muss noch fahren. Nicht soviel! Außerdem bin ich schon ganz locker. Ein Glas reicht."

"Ach sorry, ... na dann werde ich den Rest wohl trinken müssen, denn ich bin nicht so locker."

Ich schaute ihn prüfend an. Er lächelte und setzte sich mir gegenüber gemütlich auf das Sofa.

"Wie fangen wir an?"

"Mit dem Anfang?"

Ich machte diesen dämlichen, gezwungenen Scherz, aber er bewirkte, dass sich seine Gesichtszüge entspannten. Er atmete tief durch: "Ok, ich denke, dass wir nun mal Klartext reden sollten. du hast mir eröffnet, dass du dich in mich verliebt hast. Ich war total überrascht."

"Warum?"

"Weil du niemals vorher sowas von dir gegeben hast."

"Klar! Die Umstände waren nicht so gut. Außerdem... war ich schüchtern."

Er grinste: "Das kann ich nicht glauben. Aber zurück zum Thema. Ich war geschmeichelt und ich war schockiert. Schockiert, weil..."

Er stockte und nahm sein Glas. Ich war gespannt und sagte nichts. Ich nahm ebenso mein Glas.

"Ich war schockiert, weil mir sowas noch nie jemand so offen gesagt hat. Jedenfalls nicht auf diese Art. Ich war und bin beeindruckt."

"Hmm...."

Ich wollte ihn sprechen lassen. Er atmete noch einmal tief durch: "Ich fühle mich geehrt, weil ich dich mag und dich sehr schätze. Ich habe dich in den letzen Wochen kennengelernt und weiß, was du für ein Mensch bist. Nun werde nicht verlegen, aber wenn die meisten wüssten, wie du wirklich bist, dann würden sie sich um dich reißen."

"Ich will aber nicht, dass sie sich um mich reißen."

"Siehst du? Das ist es. du Weißt was du willst... Ich nicht."

"Was soll das heißen?"

"Das soll heißen, dass ich nicht weiß was ich will. Ich habe zu viele Enttäuschungen durchgemacht und mich total in mich zurückgezogen. Ich bin es nicht mehr gewohnt ... Es war für mich irgendwie komisch. Aber ich habe mir in den letzten Tagen Gedanken gemacht, ... um mich... und um dich."

Mein Herz klopfte. Ich war gespannt. Schnell zündete ich mir eine Zigarette an. Ich schaute ihn erwartungsvoll an.

"Ja, ... ich habe mir Gedanken gemacht und ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Da sitzt ein Mensch, den ich sehr schätze und den ich mag."

"Danke!"

Nun wusste ich was kommen musste. Ich würde einen Korb kriegen. Kalt lief es mir den Rücken runter und das Blut wich mir aus dem Gesicht. Ich versuchte mich zu fassen. Da war er mein Traumprinz. Er war alles, was ich wollte. Für ihn würde ich durchs Feuer gehen und ihm würde ich die Sterne vom Himmel holen...

"Du bist der Mensch, den ich mir immer als Partner vorgestellt habe. Du bist selbstbewusst, hast Charme und Erfahrung. du bist bestimmt zärtlich und liebevoll. du würdest mich auf Händen tragen. Wie lange habe ich mich nach so einem Partner gesehnt?"

Er stockte. Ich hielt die Luft an. Nach einem guten Schluck aus seinem Glas setzte er fort.

"Weißt du, was ich früher dafür gegeben hätte dich zu finden? Ich war so einsam und bin es immer noch. du würdest mir das Leben zeigen. Doch wie das Leben so ist.... es hat nicht gefunkt."

Er senkte den Kopf und ich kämpfte mit den Tränen. Ich schluckte meine Traurigkeit herunter und sog erneut an meiner Zigarette. Gedankenverloren murmelte er noch einmal: "... es hat nicht gefunkt."

Ich hätte ihn nun zu gerne in den Arm genommen und getröstet, obwohl ich sicher derjenige von uns beiden war, der den Trost gebraucht hätte. Ich stieß die Luft aus und schluckte meine Tränen herunter. Gefasst sagte ich: "Das habe ich befürchtet. Ich hatte so gehofft. ... Ich liebe dich trotzdem."

Er blickte irritiert auf.

"Trotzdem noch?"

"Ja, meinst du, nun wäre das alles vorbei? Ich kann doch meine Gefühle nicht so einfach ausschalten."

"Genau das ist es. Ich kann meine Gefühle nicht so einfach anschalten. Ich mag dich sehr und ich schätze dich. Das ist der Grund warum ich dir nichts vormachen will. Ich würde nie eine Partnerschaft beginnen, alleine deshalb, weil ich einsam bin."

"Danke! Ich weiß es zu würdigen, denn schon so oft wurde mir was vorgemacht. Ich denke so ist es ehrlicher und besser für uns beide."

"Aber..."

"Was?"

"Aber wie kannst du damit umgehen?"

Ich überlegte und antwortete erst nach einiger Zeit: "Schwer, aber ich muss halt. Außerdem bist du ja nicht verloren. du bist als Mensch noch da."

"Siehst du, genau das ist es, was ich an dir schätze und bewundere. Du bist anders als die Anderen. Ein Anderer hätte mich womöglich beschimpft oder mich nun links liegen lassen."

"Das werde ich nicht. dir kann ich doch nicht weh tun! Ich liebe dich immer noch und werde dich immer lieben. Das kann mir keiner nehmen."

Oh, es tat so weh. Ich hätte schreien können. Aber ich beherrschte mich. Es tat ihm genauso weh. Ich spürte das.

"Weißt du, was das Allerschlimmste an der ganzen Sache ist?"

Ich schaute ihn an. Ich wusste es nicht.

"Was denn, Karsten?"

"Das Allerschlimmste ist, dass wir nun nie wieder so miteinander umgehen können wie vorher. Immer wird das hier zwischen uns sein."

"Nein! Das stimmt doch gar nicht! Wie kann das zwischen uns sein? Es verbindet uns."

"Nie wieder kann ich dich berühren ohne dir weh zu tun. Alles was ich sage oder tue wird Hoffnungen in dir wecken."

"Vielleicht ist das so, vielleicht auch nicht, aber ist das nicht mein Problem?"

"Ich werde dich nicht noch näher kennen lernen können, ohne dass ich denken muss, dass ich dir weh tue."

"Wer von uns beiden ist denn nun der gefühlvollere Mensch? Genau aus diesem Grunde liebe ich dich. du machst dir Sorgen um mich. Das brauchst du aber nicht. Lass mich dich nur lieben. Auch wenn du mich nicht liebst. Lass es zu, dass ich dich liebe. Nimm einfach meine Liebe an. Mehr will ich jetzt nicht. Mehr habe ich nie gewollt. Sicher habe ich geträumt, dass es anders sein könnte. Lass mich dir sagen können, dass du der Mensch bist..."

Ich konnte nicht mehr weitersprechen, weil meine Stimme versagte. Dicke Tränen rangen mir die Wangen herunter. Es drängte aus mir hervor und er saß erschrocken und hilflos da, doch nach ein paar Atemzügen fing ich mich wieder.

"Ist schon gut, es geht wieder."

"Hier hast du ein Taschentuch. Bitte weine nicht. Bitte, es tut mir weh dich weinen zu sehen.... vor allem wenn ich der Grund bin."

Ich schnäuzte mich in mein Taschentuch. Bitter lächelnd schaute ich ihn mit verweinten Augen an. Wir waren uns noch nie so nah gewesen. Ach, wenn es doch immer so sein könnte.

"Ok, ich denke, ich habe verstanden. Es soll nichts zwischen uns stehen."

Ich war erleichtert als er das sagte und schnäuzte mich erneut.

"Aber...."

Ich schaute auf: "Was aber...?"

"Aber wenn es doch mal einen Funken geben sollte, dann habe ICH ein Problem. Dann wird es mir wohl genauso gehen wie dir jetzt."

Ich war verwundert: "Hast du nicht zugehört? Nein, dir geht es dann nicht so. Ich werde dich immer lieben. Ich weiß, dass meine Liebe echt ist. sie bedarf keiner Gegenliebe. Verstehst du das?"

Karsten machte eine lange Pause und dachte nach.

"Ich glaube schon. Ich verstehe dich. Ach, alleine dafür könnte ich Dich lieben."

Ich wurde wieder traurig und schaute auf den Boden. "...ja, könntest Du das nur...."

"Was kann ich denn für dich tun. Ich habe das nun alles angerichtet und habe ein ganz schlechtes Gewissen. Wenn du gehen willst..."

Ich überlegte einen Augenblick. Es war besser, wenn ich ging, denn ich wollte ihn nicht weiter belasten und mir nicht weiter weh tun.

"Ok, ich gehe. Ich werde ein paar Tage brauchen um mich zu fangen. Aber bitte lass unseren Kontakt nicht abreißen...bitte."

Ich stand auf und nahm meine Sachen von Tisch und steckte sie in die Hosentasche. Feuerzeug, Zigaretten. Ich begann mich schon abzulenken. Er stand auch auf. Zögernd stand er mir gegenüber.

"Karsten, ich habe jetzt nur einen Wunsch. Den kannst du mir nicht abschlagen."

Ich lächelte bitter.

"Nein, du hast mehrere Wünsche frei. Irgendwie fühle ich mich verpflichtet."

"Blödsinn! du bist zu nichts verpflichtet. du kannst ja nichts dafür. ... Bitte nimm mich in den Arm... so richtig. Zeige mir, dass Du mich magst."

Ohne zu zögern kam er auf mich zu und drückte mich fest an sich. Nun wusste ich, dass ich ihn nicht mehr verlieren würde. Er würde immer in meinem Herzen sein. Ein wenig traurig, aber auch erleichtert fuhr ich nach Hause. Die Nacht war milder als erwartet und so ließ ich das Fenster ein Stück heruntergekurbelt. Der erfrischende Fahrtwind blies mir ins Gesicht. Die Abkühlung tat mir gut.